06.08.2022, 14:50 Uhr
Das bayerische Atomkraftwerk Isar 2 könnte länger am Netz bleiben, um in der Energiekrise eine kleine Reserve aufzubauen. Technisch kein Problem, erklärt der TÜV Süd. Das Bundesumweltministerium kritisiert sowohl die Methodik als auch das Urteil der Prüfstelle. Die Energiekrise und die Frage des Weiterbetriebs der verbleibenden Kernkraftwerke in Deutschland haben zu erheblichen politischen Verwerfungen geführt. Über ein Detail streiten sich Bund und Bayern nun: Die Auswertung einer TÜV-Analyse zum Betrieb zweier Atomreaktoren in Bayern. Das Bundesumweltministerium hat die Methodik des Dokuments scharf kritisiert und erklärt, es handele sich „nicht um ein Gutachten“. Ein Sprecher des bayerischen Umweltministeriums wies die Vorwürfe zurück und bezeichnete den TÜV Süd als einen der bekanntesten Experten mit dem größten Wissen in der Kernenergie.
Betitelt “Evaluierung”, nicht Meinung
Der Technische Überwachungsverein (TÜV) Süd hatte in seinem Dokument vom April – mit dem Titel „Begutachtung“, nicht als Gutachten – geschrieben, dass er keine sicherheitstechnischen Bedenken gegen einen Weiterbetrieb der Isar 2 nach Jahresende habe. Auch ein Neustart von Block C im bayerischen Gundremmingen sei “technisch möglich”. Die Stellungnahme erfülle „grundlegende Anforderungen an Gutachten und seriöse Gutachten nicht und dürfe daher nicht zur staatlichen Entscheidungsfindung herangezogen werden“, schreibt das Bundesministerium. Das Dokument entspricht nicht den atomrechtlichen Anforderungen.
Das Ministerium gibt neue Gutachten in Auftrag
Der Leiter der Abteilung Nukleare Sicherheit und Strahlenschutz des Ministeriums, Gerrit Niehaus, bemängelte in dem Memo, dass die Autoren des TÜV zu weit gefasst seien und einige Aussagen nicht belegen würden. Irgendwann ist von „Spekulation“ die Rede. Ein anderer sagt, dass der Standard einer Bewertung nicht benannt oder “verschleiert” wird. Der TÜV wurde nicht mit der „Erstellung einer umfassenden Sicherheitsbeurteilung“ beauftragt, sondern kam zu dem Schluss: „Aus sicherheitstechnischer Sicht bestehen daher keine Bedenken für den Weiterbetrieb“. Das Bundesumweltministerium hält dies für nicht hinnehmbar. Der bayerische Ministeriumssprecher sagte hingegen: „Bei der Bewertung zentraler und kritischer Fragen sollte die bestmögliche Expertise herangezogen werden.“ Deshalb habe das Ministerium “sowohl ein sicherheitsrelevantes Gutachten als auch ein Rechtsgutachten” in Auftrag gegeben. Daher würden Sicherheitsbedenken “einer vorübergehenden Verlängerung der Amtszeit nicht im Wege stehen”.
Weiterbetrieb ist „unkalkulierbares Risiko“
Der Vorsitzende des Bayerischen Naturschutzbundes hält den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke in Bayern für ein “unkalkulierbares Risiko”. „Wir haben 600 Atomkraftwerke auf der ganzen Welt, sechs davon sind beschädigt – Harrisburg, Tschernobyl und vier Blöcke in Fukushima“, sagte Richard Mergner den Nürnberger Nachrichten. „Wir haben auch kein Depot. Es ist, als würde man in ein Flugzeug steigen und keine Landebahn haben.“ Der Leiter des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit (Base), Wolfram König, forderte „eine neue Risikobewertung“ der Atomkraft, „auch und gerade im Kontext des Krieges in der Ukraine“, wie er dem sagte Fachpublikation “Tagesspiegel Hintergrund”. Das von Russland beschlagnahmte AKW Saporischschja war zuvor erneut unter Beschuss geraten, weshalb die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) besorgt ist. Die Kriegsparteien beschuldigen sich gegenseitig. Industriepräsident Siegfried Russwurm forderte derweil, Vorkehrungen zu treffen, damit der Betrieb der deutschen Kernkraftwerke über das Jahresende hinaus verlängert werden könne. „Politik und Wirtschaft sollten alles für eine mögliche vorübergehende Wiederaufnahme des Betriebs vorbereiten. Und wenn wir es dann nicht brauchen, freuen wir uns“, sagte der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie der dpa.
“Zeit ist um”
Vor dem viel diskutierten Stretch-Modus, also der erweiterten Nutzung von Stromtreibstoff, warnte der BDI-Chef: „Die Zeit wird knapp.“ Bis zu den Ergebnissen des aktuellen Stresstests werden weiterhin Kernbrennstäbe verbraucht. “Dann wird das Verlängerungsproblem bald gelöst sein.” Für den Chef des Energiekonzerns Eon, der die Isar 2 betreibt, ist die Weiterverwendung „vorerst erledigt“. Dies sei im März erneut mit der Regierung besprochen worden, die sich dagegen entschieden habe, sagte Leonhard Birnbaum der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Nun werden die Ergebnisse des aktuellen Stresstests im Strommarkt abgewartet. Die Politik muss entscheiden. Wenn sie auf dieser Grundlage zur Neubewertung kommen, “werden wir uns sehr ernsthaft bemühen, den Betrieb des Kernkraftwerks zu ermöglichen.” Auf die Frage, ob die bereits vom Netz genommenen Kernreaktoren von Eon wieder in Betrieb genommen werden könnten, sagte Birnbaum: „Die Betriebsgenehmigungen für diese Anlagen sind abgelaufen und das lässt sich nicht mit einem Federstrich heilen zu ihnen.“ Dies ist keine relevante Diskussion.