8.14 Uhr – Nach zwei Jahren glänzt „Rheingold“ endlich

Guten Morgen aus Franken! Das Wetter ist noch etwas grau, aber im Frühstücksraum gibt es nur strahlende Gesichter voller Vorfreude. Als Katharina Wagner auf der Pressekonferenz 2019 Valentin Schwarz als Regisseur des nächsten „Ring des Nibelungen“ vorstellte, gingen wir alle davon aus, dass die Inszenierung ein Jahr später auf die Bühne kommen würde. Dann kam der Virus, 2020 wurden die Festspiele komplett abgesagt, nur eine Horde trotziger Menschen (mich eingeschlossen) pilgerte trotzdem nach Bayreuth. 2021 ging die Zahl der Sendungen und Zuschauer deutlich zurück. Drei Jahre hatte also Valentin Schwarz (dessen Arbeit man auf der Schanze sehr zufrieden sein muss, wie mir ein Specht vorsang) Zeit, sich mental und konzeptionell auf das vorzubereiten, was heute Abend endlich Premiere haben wird. „Rheingold“ beginnt um 18 Uhr, am Vorabend des „Ring des Nibelungen“, also streng genommen keine komplette Ringoper. Mit knapp 2,5 Stunden ist die Strecke zudem überschaubar kurz – daher der späte Start. Dafür gibt es keine Pause.

21:56 – Wir sind müde. Ja. Aber die Regeln des Bayreuther Spiels müssen noch erklärt werden

Richard Wagner hat die Festspiele als Werkstatt geschaffen: Hier müssen die Besten ihres Fachs und ihrer Zeit seine Werke zeichnen, inszenieren und aufführen. Jede Gruppe von Regisseuren und Dirigenten kann es vier bis fünf Jahre lang versuchen und sich von Jahr zu Jahr verbessern und verändern. Es ist daher möglich, dass der Uraufführungszyklus einer Oper deutlich von der letzten Aufführung abweicht. Nur Wagners zehn große Opern – vom fliegenden Holländer bis zum Parsifal – werden aufgeführt. „Die Feen“ und „Rienzi“ werden in Bayreuth nicht aufgeführt. 1876, bei den ersten Festspielen, führte Wagner noch selbst Regie und bezahlte seine Schauspieler und Mitarbeiter wenig oder gar nichts. Seiner Meinung nach war die Teilnahme am Festival eine große Ehre und Auszeichnung. Außerdem waren Kost und Logis kostenlos. Daran hat sich im Grunde bis heute kaum etwas geändert: Keiner der Künstler, die die ausstellungsfreien Sommermonate in Franken verbringen, wird reich. Eine Einladung auf den Grünen Hügel gilt als Auszeichnung. Morgen: wer macht Musik und wer nicht. Warum fehlt der Dirigent, auf den alle gewartet haben? warum wir auf Green Hill keine Skins mehr sehen, mein persönliches Alptraumszenario (wie wäre es, wenn Facebook den Ring hochlädt), erster Probenklatsch. Mehr Details zu „Rheingold“ und natürlich zum ersten Tag des neuen Rings!

21.20 Uhr – Bayreuther Glück

Die Gesprächsregeln in der „Lohmühle“ (und in allen Wagner-Hotels) sind ganz einfach: Wenn man am Nebentisch so laut angesprochen wird, dass man es am eigenen Tisch hört, gilt das als Einladung zum Gespräch. Da viele der Gäste in so fortgeschrittenem Alter sind, dass sie sowieso zu laut reden, kommt das fast immer vor. Die Themen sind noch wenig heikel: Wespen, Schweinebraten, wo kommen die her? Bald aber beginnt die Arbeit, an drei Tischen. Ja, dann die Kosky-Inszenierung von ‘Meistersinger’! Der erste Akt war noch gut, aber dann mit diesen großen Wagnerköpfen. Wir wissen nicht. – Ja, das ist sein Ding, er muss es so machen. – Und “Tannhäuser”? – Nun ja. Es ist etwas gewöhnungsbedürftig – ich fand es genial. – Oh, dann hast du sicher auch… Dann geht alles ganz schnell: wer hat was wann gesehen und wie man es gefunden hat. Die Produktionen der letzten Jahre sind vergangen, es übertrifft Bayreuth. Plötzlich stellen Sie fest, dass Sie Bernd Eichingers Inszenierung von “Parsifal” an der Berliner Lindenoper mit einem Herrn gefunden haben, den Sie noch nie zuvor gesehen haben (bisher dachten Sie, Sie wären der Einzige und alle anderen fanden es schrecklich). Das ist tastend und niemals angeberisch. Bayreuth, ein geschützter Raum, ein Kokon.

19:48 Uhr – Der Ring für Eilige

Machen wir es so lang und kurz wie möglich. Dies ist die Geschichte des Rings für Eilige. Alberich entreißt den Rheintöchtern durch Liebesverzicht das “Rheingold” und schmiedet aus den Edelsteinen den Ring des Nibelungen. Wotan, der oberste Gott, stiehlt seine Juwelen, verliert sie aber an den Riesen Fafner, der seitdem als Drache den Schatz bewacht. Nicht ohne dass Alberich den Ring und alle, die ihn tragen würden, vorher verflucht. Um einen Helden zu erschaffen, der den Ring zurückerobern kann, gründet Wotan seine eigene Heldenfamilie, die Wälsungen. Allerdings durch Ehebruch. Das bringt Frickas Frau aus der Fassung und erschüttert Wotans Machtposition. Außerdem gibt es einen Bruch mit seiner geliebten Tochter, der „Walküre“ Brünnhilde. Wälsungens Prototypen Siegmund und Sieglinde überleben nicht lange, aber ihr Sohn „Siegfried“, der erste freie Mensch, der durch Inzucht für den Genpool optimiert wurde, tötet schließlich den Drachen Fafner, erlangt einen Schatz, einen Ring und einen Tarnhelm. Aber das interessiert ihn nicht, geschweige denn seine Halbtante Brünnhilde. Sie schläft in einem Feuerkreis, weil sie sich ihrem Vater Wotan widersetzt hat (siehe oben). Auf seinem Weg, sie zu befreien, trifft Siegfried auf Wotan, zerbricht dessen Speer, entzündet damit die Götterdämmerung und geht durch das Feuer. Er verliebt sich in Brünnhilde, sie in ihn. Sie nimmt ihr Pferd, nimmt seinen Ring. Auf einer Heldenreise landet Siegfried kurz darauf am Giebichungener Hof, wo Alberichs Sohn Hagen die Intrigen leitet. Mit einem Zaubertrank lässt er Siegfried a) Brünnhilde vergessen und b) sie (mit Tarnhelm) als Braut für Hagens Halbbruder Gunter gewinnen und c) den Helden selbst in den Idioten Gutrune verlieben. Die fassungslose Walküre versteht die Welt nicht mehr und meldet Verrat. Hagen bietet Rache an und tötet schließlich in einem Komplott mit Guder und Brünnhilde den Helden mit einem Speer im Rücken. Wotan ist alles zu viel geworden, in tiefer Depression bereitet er den Brand der Burg Walhalla und den kollektiven Selbstmord der Götter vor. Siegfrieds Leiche liegt auf dem Scheiterhaufen. Hagen ermordet Gander über dem Ring. In letzter Sekunde sieht Brünnhilde das Spiel und steigt selbst mit ihrem Pferd Grane ins Feuer – die Liebe triumphiert über den Erhalt der bekannten Welt. Bald lodert der Rhein über seine Ufer, Brünnhilde wirft den Rheintöchtern den Ring zu, um den Fluch zu brechen. Hagen springt zurück – und wird zu Boden gezogen. Der Fluch des Rings mag gebrochen sein, aber die Herrschaft der Götter ist für immer vorbei.

18.24 Uhr – Fußball, CSD-Gebühr. Jetzt geht es um Kunst

Es war nur ein kurzer Bayreuther Traum, der vom HSV-Sieg. Die SpVgg verlor an einem nicht ganz so sommerlichen Samstagnachmittag mit 1:3, jetzt fluten HSV-Fans die Innenstadt. Aber es gibt kein Lied, dafür war es zu kurz. Sie kennen die Überbleibsel des Christopher Street Day, der a) zu kurz war und b) größtenteils ein Kostümfest für fröhliche junge Leute war. Was nicht unbedingt eine schlechte Sache ist. Auf jeden Fall: Jetzt geht es um Kunst. Morgen geht es mit der Ring-Premiere richtig los. Ich werde versuchen, den Inhalt kurz, aber umfassend zusammenzufassen. Bis später.

17:13 Uhr – „Netflix-Ring“? So war es nicht gemeint

Alle Augen sind auf Valentin Schwarz gerichtet, den Leiter des neuen Rings. Wagners „Holländer“ war die erste Oper, die der 33-jährige Österreicher (und damit neben Patrice Serot der jüngste Regisseur, der jemals zum Chef des Bayreuther Rings ernannt wurde) zu Gesicht bekam. Damals war er erst neun Jahre alt, eine Erfahrung, die sein Leben veränderte: Er studierte Musiktheaterregie in Wien, inszenierte „Turandot“, „Hänsel und Gretel“, „Cosi fan tutte“, „Carmen“ und „Die Banditen“ – aber nie Wagner. Entsprechend groß war die Überraschung, als Katharina Wagner ihn 2019 als den für 2020 geplanten Ringmacher vorstellte. Ein Rookie auf der Schanze? Gut, dass Wagners Urenkelin bei der Auswahl ihrer Gastregisseure fast immer ein gutes bis ausgezeichnetes Händchen hatte. Aber was ist das schwarze Design? Viel wurde nicht verraten – auch das wäre ungewöhnlich. Am Bayreuther Ring, sagte Schwarz im Februar der dpa, reizt ihn, dass das Werk in nur einer Woche komplett präsentiert wird. Dies würde “uns die Möglichkeit geben, eine Familiensaga in einem vierteiligen Serienformat zu zeigen und diese Charaktere durch ihre Umstände und Unterlassungen im Laufe der Zeit zu verfolgen.” Der „Netflix-Ring“ ging schnell um die Welt. Schwarz weiter: „Ich möchte eine Geschichte über die Menschen von heute, die Charaktere von heute, die Probleme von heute erzählen – und nicht über Götter, Zwerge und Drachen. Er sieht „Rheingold“ als eine Art „Pilotfilm, der viele Fragen aufwirft, viel neckt und Lust macht auf das, was als nächstes passieren wird – auch wenn man vielleicht nicht gleich alles klären kann“. Einen ähnlichen Ansatz – im Sinne der Moderne – wählte Frank Castorf 2013 mit seiner 20th Century Tour. Und da auch…