Von Martin Morcinek und Lukas Wessling 06.08.2022, 08:04
Zweieinhalb Jahre nach Ausbruch der Coronavirus-Pandemie sind die Schutzmaßnahmen in Deutschland weitgehend aufgehoben. Eine Infektionswelle fegt durch die Bundesrepublik, die Lage ist verworren. Die wichtigsten Grundlagen zur aktuellen Situation. Zuerst die gute Nachricht – die aktuelle Sommerwelle verliert an Fahrt. Das lässt zumindest die Zahl der nachgewiesenen Infektionen vermuten. Aber auch verlässlichere Werte offenbaren zumindest einen leichten Trend. So ist die Zahl der Covid-Patienten auf deutschen Intensivstationen seit dem 26. Juli (1621 Fälle) um mehr als ein Sechstel gesunken. Bei den besonders schweren Fällen, die beatmet werden müssen, ist eine solche Entwicklung jedoch nicht zu beschreiben. Die Zahl der nachgewiesenen Coronavirus-Infektionen ist seit langem der zentrale Bezugspunkt in der Pandemie. Über die Woche gemittelt und auf 100.000 Einwohner gerechnet, zeigte sie die Höhe des Infektionsstatus als Sieben-Tages-Inzidenz. Es wurden nie alle Infektionen erfasst, das Testsystem konnte nur einen Teil des Infektionsgeschehens visualisieren. Allerdings ist dieses Segment seit langem ähnlich groß, sodass sich die produzierten Werte gut vergleichen ließen. Datenstand hat sich geändert: Das bisherige fallbezogene Test- und Meldesystem hat sich geändert. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) ist es nicht mehr wichtig, jeden Infektionsfall einzeln zu erfassen. Es beleuchtet einen kleineren Teil der Gesamtsituation. Das Netz, mit dem die Gesellschaft nach Verunreinigungen durchsucht wird, ist viel gröber geworden. Aus diesem Grund können die Infektionszahlen nicht nur mit Einschränkungen für den gesamten Zeitraum der Pandemie verglichen werden. Die Inzidenz vom August 2020 ist kaum mit der vom August 2022 zu vergleichen: Zu stark schwanken die Zahl der Tests und die Zahl der nachgewiesenen Infektionen. Auch das Virus und die Immunität in der Bevölkerung haben sich massiv verändert. Die Infektionszahlen vom Juni und August 2022 seien jedoch auf vergleichbarer Basis entstanden. Deshalb können sie verglichen werden. Zuvor gab es im Frühjahr eine riesige Doppelwelle. Etwa 19 Millionen Menschen haben sich in diesem Zeitraum nachweislich mit dem Virus infiziert. Nach einem Tiefpunkt Ende Mai begann die Infektionswelle, die wir derzeit erleben. Er trifft auf eine Gesellschaft, die ihre Schutzmaßnahmen stark reduziert hat: Masken müssen nur noch in Zügen getragen werden, die Kontaktverfolgung wurde Anfang des Jahres aufgegeben: Nur ein Bruchteil der Infizierten taucht in den offiziellen Statistiken auf. Vor allem aber stößt die Sommerwelle auf wenig öffentliches Interesse. Die Pandemie wird von anderen Themen überschattet und die Krankheit hat für viele ihren Schrecken verloren. Dass die Flut ihren Höhepunkt erreicht zu haben scheint, liegt wohl weniger an politischen Maßnahmen oder Verhaltensänderungen. Stattdessen dürften die Sommerferien ihren Teil dazu beitragen, dass im Wochendurchschnitt derzeit nur noch die Hälfte der Infektionen vom 20. Juli (98.083, am 6. August noch 53.572) verzeichnet werden. Damals lag die Inzidenz bei 740,1 – mittlerweile ist sie auf 417,2 gesunken. Ab Mitte Juli sind in vielen Bundesländern Schulferien. Derzeit betrifft es etwa die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland. In der letzten Juliwoche haben Studierende in 14 der 16 Bundesländer bereits frei, und im August sind deutschlandweit Ferien: Nirgendwo sonst sind mehr Kinder in den Klassenzimmern, Eltern haben Urlaub, viele gehen ins Ausland. Dies könnte ein Grund für den heutigen Rückgang der Infektionszahlen sein. Gleichzeitig sollen Reisen nach Frankreich, Portugal, Kroatien oder in die Karibik innerhalb und außerhalb Europas die Grundlage für das Infektionsgeschehen im Herbst und Winter bereiten. In Deutschland ist der Subtyp Omicron BA5 mittlerweile fast vollständig etabliert. Welche Virusvariante die nächste Welle prägen wird, hängt auch von den Reiserückkehrern ab. Entwicklung der Micron-Ergebnisse Übersichtstabelle der Micron-Ergebnisse Wer in dieser unübersichtlichen Situation Orientierung sucht, dem sei zunächst ein Blick auf die Entwicklung in den Krankenhäusern empfohlen: Die Angaben von Divi zur Zahl der schwer erkrankten Covid-Patienten auf Intensivstationen geben direkte Hinweise auf die Entwicklung. Der Vorteil: Hier gibt es keine dramatische Untererfassung, wie es jetzt bei den Infektionszahlen der Fall ist. Auch Test- und Infektionsstatistiken können helfen, die Situation weiter einzuordnen. Auch Varianten des Virus sollten im Auge behalten werden: Das Überwachungssystem in deutschen Labors sorgt dafür, dass die Ausbreitung neuer, ansteckender Mutationen nicht unbemerkt bleibt. Ein Frühwarnzeichen wäre zum Beispiel, wenn der Omicron-Subtyp in den folgenden Wochen seine dominante Rolle im Infektionsgeschehen verliert. Zuletzt lag der Anteil von BA.5 laut RKI in Deutschland bei 92,1 Prozent aller analysierten Coronavirus-Befunde. Ab Oktober gelten zudem neue, von der Bundesregierung beschlossene Infektionsschutzregeln. Sie sehen eine Maskenpflicht für den Ferntransport und auch eine Testpflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen vor. Bundesländer können diese Regeln gegebenenfalls verschärfen. Lockdowns, Schulschließungen und Ausgangssperren darf es nicht mehr geben.