Martina Serafins Isolde und Andreas Schagers Tristan hängen bereits zu Beginn der 1865 uraufgeführten Liebesekstase an den Seilen – oder sitzen auf den daran befestigten, von der Decke hängenden Riesenkrippen. Umrahmt werden sie von Kindern, die mit ihren Augen Gottfried Helnweins Gemälden entsprungen zu sein scheinen. Und während Isolde trocken bleibt, wälzt sich Tristan in den Wasserpfützen auf dem Bühnenboden. Kneipp-Therapie ist gesund, aber an dieser Stelle ist es ein traditionelles Frisiergerät. Gleichzeitig demonstriert Bieito hier seine Fähigkeit, Menschen zu führen, indem er alle Charaktere auf der Bühne präsent hält und sie in Spielkonstellationen gruppiert. So wird die von Isolde beschriebene Geschichte der beiden Liebenden live dargestellt, die Zeitebenen überlagern sich. Bieito trennt Handlung und Schauspiel, stellt Gesungenes und Gespieltes frei gegenüber, analog zu Richard Wagner, der schließlich in „Tristan“ seine Aufmerksamkeit von der Handlung auf die inneren Bewegungen der Figuren richtete. Wir alle wissen, dass Fernbeziehungen mühsam sein können – und im zweiten Akt erschafft Bieito ein zusammenhängendes Symbol für die unüberwindbare Distanz zwischen den beiden Liebenden, indem er sie in zwei schwebenden Räumen platziert. Diese werden von beiden in der hormonellen Gefühlsstörung ebenso aufgelöst wie die Konventionen, die sie repräsentieren. Als Tristan jedoch bei „Im Dunkeln du, im Licht von mir“ mehrfach eine Bürolampe anknipst, werden die Grenzen der unfreiwilligen Komik überschritten. Der ästhetische Widerspruch erscheint hier noch größer, da die Grundtonalität dieses „Tristans“ im Dunkeln erhalten bleibt und die Schatten an der Wand mitunter den einzigartigen Lichteindruck darstellen. Bieito platziert seine Charaktere als nächtliche Figuren, gefangen im Nebel der Gefühle und im De-facto-Nebel. Nur wenige nackte Menschen, wie so oft bei Bieito, versammeln sich im 3. Akt zu Liebesmetaphern und bilden ansonsten als Popo-Parade einen schönen Abschluss der Szene. Auch ohne den Abstand einzunehmen, fallen die beiden Hauptprotagonisten des Abends ins Auge. Andreas Schager, der nun mit Vollbart wie Jonas Kaufmann aussieht, versteht es, seinen Tristan trotz kleiner Ermüdungsmomente als sichere Wette mit offenem Tenor zwischen strahlendem Heldentum und dunkler Dunkelheit zu gestalten. Martina Serafin, die wie ihre Kollegin ihre Rolle zum ersten Mal in der Staatsoper verkörperte, spiegelt Isoldes Position im ersten Akt als Wahnsinnige mit einem sehr schweren, scharfen Ton wider und weiß sich doch zu verwandeln. in Sehnsucht, auch wenn ihre „Wandlung“ am Ende weniger ätherisches Eintauchen als strenge Anbetung ist. Nebenrollen wie Ekaterina Gubanovas, Brangäne, die als treue und fürsorgliche Magd konzipiert war, und der Name von Bassstar René Pape, nicht nur undeutlich gekleidet, bleiben Hinweise auf Bieito. Nur Kurwenal Iain Patersons erreicht in Akt 3 einen berührenden mitfühlenden Freund und gewinnt an Tiefe. Unumstritten war dagegen der Auftritt des Musikdirektors Philippe Jordan mit dem Staatsopernorchester, der schon bei den Prozessionen demonstrativ gewürdigt worden war. Eine sehr schöne, stellenweise zurückhaltende Interpretation lässt Raum für eine Phraseologie, die den orgiastischen Klangrausch umreißt und sich gleichzeitig nicht von Ekstase einschüchtern lässt. Hier gelingt die Kombination einzelner Momente mit großem Bogen, worunter Bieitos Interpretation leidet. (SERVICE – „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner an der Staatsoper, Opernring 2, 1010 Wien. Musikalische Leitung: Philippe Jordan, Regie: Calixto Bieito, Bühne: Rebecca Ringst, Kostüme: Ingo Krügler. Mit Tristan – Andreas Schager, Marke – René Pape, Isolde – Martina Serafin, Kurwenal – Iain Paterson, Brangäne – Ekaterina Gubanova, Melot – Clemens Unterreiner, Hirt – Daniel Jenz, Lenkrad – Martin Häßler, Voice of the Sailor – Josh Lovell Weitere Vorstellungen am 18. und 27., 27 April und 1. Mai.)