Von Wolfram Weimer 08.04.2022 11:18 (aktualisiert)
Im Machtkampf um die Nachfolge von Boris Johnson hat Liz Truss die besten Chancen auf einen Sieg. Die Tory-Basis liebt sie, weil sie alle möglichen Erinnerungen an einen legendären Premierminister weckt. Er spielt die Rolle so kühn, dass er wie ein ganz anderer Tory aussieht. Liz Truss liegt in Umfragen weit vorne und unter den britischen Buchmachern weit vorne. Laut Wettbörse Smarkets hat er nun eine Gewinnchance von 90,9 Prozent auf die Nachfolge von Boris Johnson. Weniger als vier Wochen nach der Rücktrittserklärung des britischen Premierministers wählen Mitglieder der konservativen Tory-Partei einen Nachfolger. Die rund 200.000 Mitglieder der Partei können bis zum 2. September wählen, aber es wäre ein Wunder, wenn Truss die Wahl gegen den ehemaligen Finanzminister Rishi Sunak verlieren würde. Truss lacht gerade gut. (Foto: picture alliance / empics) Die Basis der Partei liebt sie so sehr, weil Truss vielen Konservativen als Reminiszenz an Margaret Thatcher erscheint. Die Tories verehren die Eiserne Lady, die von 1979 bis 1990 Großbritanniens erste Premierministerin war. Und Liz Truss hat systematisch daran gearbeitet, dass die Legende von Thatcher mit ihr in Verbindung gebracht wird. Truss hat Fotos veröffentlicht, auf denen sie berühmte Aufnahmen von Thatcher nachstellt. Manchmal trägt sie während einer Fernsehdebatte eine altmodische, riesige weiße Schleife – so wie Thatcher sie 1979 vor den Kameras trug. Ein anderes Mal, auf einem Kriegsschiff oder aus der Luke eines Panzers, bringt sie sich in Position von Thatcher. Bei einem Besuch in Moskau trug sie einen langen Mantel und eine zu dicke Pelzmütze – genau wie Thatcher 35 Jahre zuvor.
Das Versprechen des unmöglichen Staates
Truss wird für dieses Foto belächelt – erreicht aber gleichzeitig das angestrebte Ziel, mit Thatcher in Verbindung gebracht zu werden. Damit ist die Erzählung festgelegt. Ihre Fans feiern sie als „die neue Maggie“, auch weil sie ebenso treffende Positionen vertritt: eine klare Linie als aggressive Wirtschaftsliberale, die sich gegen linke Mode und jeden offenen Etatismus stellt. Der Außenminister werde “mit überholter Wirtschaftsorthodoxie aufräumen und unsere Wirtschaft konservativ führen”, schreibt Finanzminister Nadhim Zahawi in einem Artikel für die Zeitung “Telegraph”. Zahawi selbst kandidierte für das Amt des Premierministers, unterstützt nun aber Truss. Wie Thatcher verspricht er sofortige Steuersenkungen und will den Bürgern 30 Milliarden Pfund einsparen, indem er die Kraftstoffsteuer abschafft und die Sozialversicherungsbeiträge senkt. Er ist auch gegen höhere Unternehmenssteuern ab dem kommenden Frühjahr.
Eine Linkskurve rechts raus
Aber Liz Truss hat sich auch einige Thatcher-Elemente in ihre Sprechweise eingearbeitet – lange Pausen mit dem starken Grinsen einer alten Dame zu überbrücken oder pantomimische Gesten in aggressiven Sprachmustern zu servieren. Wenn Truss Steuererleichterungen fordert, britische Rüstungen und Eisenbahnen gegen Russland lobt, klingt das nach Thatcher, aber nicht nach ihrer eigenen Biografie. Denn er stammt aus einer Familie entschieden linker Thatcher-Gegner. Ihr Vater, ein Mathematiklehrer, und ihre Mutter, eine Lehrerin, nahmen Liz und ihre drei Geschwister oft mit zu linken Demonstrationen und Friedensmärschen. Schon als Studentin an der Universität Oxford machte sie sich als Präsidentin der “Liberal Democratic Society” einen Namen mit Forderungen, die Konservativen normalerweise den Atem rauben würden, wie die Abschaffung der Monarchie.
Oder doch lieber eine Kopie von Johnson?
Schon als junge Abgeordnete präsentierte sie sich eher liberal und modernistisch, und selbst als Ministerin stimmte sie beim Referendum 2016 für den Verbleib in der EU, doch seit sich Partei und Caucus als Streitmacht für den Brexit formierten, ist die Haltung dahin änderte sie in das komplette Gegenteil. Seitdem wirkt sie, als hätte sie den Brexit selbst erfunden. Und sie bekennt sich so lautstark zu den libertären Grundlagen des Thatcherismus, als hätte sie sich diese allein am sozialistischen Küchentisch ihrer Eltern ausgedacht. Ihre Reden heute sind bloße Proklamationen von Freihandel, Patriotismus und Konservatismus. Nichts scheint ihr liberales Leben vor dem Brexit überlebt zu haben. Diese Änderungen an ihrer Position bringen den Vorwurf mit sich, höchst opportunistisch und berechnend zu sein. Deshalb sehen Thatchers eingefleischte Fans sie nicht als Hüter fester Überzeugungen. Und die politische Opposition diffamiert sie als Akteurin ihrer selbst. Der Guardian-Artikel sieht sie deshalb nicht als neue Inkarnation von Thatcher, sondern als Übernahme von Boris Johnson. Truss ist das egal – ihre Strategie, als Thatcher-Double Karriere zu machen, scheint aufzugehen. (Dieser Artikel wurde erstmals am Dienstag, 02. August 2022 veröffentlicht.)