Ein Toter im Lebensmittelskandal – Kontrolllücke bei den Behörden
Stand: 06:58 Uhr | Lesezeit: 4 Minuten
So sah die Kartoffelverarbeitung aus – ein Originalfoto der Firma, deren Produkte Patienten krank machten
Quelle: Hessisches Verbraucherschutzministerium In Hessen erkrankten vier Menschen an mit Keimen verseuchten Lebensmitteln, einer von ihnen starb. Die Gründe sind offensichtlich gravierende Hygienemängel in einem Betrieb – die die Behörden zwei Jahre lang nicht kontrolliert hatten. Nach Informationen von WELT AM SONNTAG haben in Hessen mangelnde Hygiene und fehlende Kontrollen zu einem Lebensmittelskandal geführt. Zwischen Oktober 2021 und Januar 2022 infizierten sich vier Menschen durch mit Keimen kontaminierte Lebensmittel mit Listeriose, einer von ihnen starb. Behörden haben einem Obst- und Gemüseunternehmen in Südhessen die Schuld gegeben. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelt gegen das Unternehmen. Er hatte geschnittene Gurken geliefert, die auch in Krankenhäusern als Teil eines Salats von Patienten gegessen wurden. Mindestens zwei der Patienten hatten sich während ihres Krankenhausaufenthalts infiziert.
Ständige Pfützen, Rattenkot und Schimmel
Den Autoren lag ein Bericht des Hessischen Arbeitskreises Lebensmittelsicherheit vor, der dem Unternehmen gravierende Hygienemängel vorwirft. Er verzeichnete stehende Pfützen, Rattenkot und Schimmel in der Produktion, kritisierte fehlende Reinigungspläne und unzureichende interne Kontrollen. Lesen Sie auch Reformpläne der Regierung Untersuchungen von Bundes- und Landesbehörden haben genetische Ähnlichkeiten zwischen den Keimen aus der Produktion und den bei Erkrankten gefundenen Bakterien aufgedeckt. Bisher hat die Öffentlichkeit nichts von dem Skandal gehört. Fragen zu den Vorwürfen beantwortete das Unternehmen nicht. Das zuständige Veterinäramt in Groß-Gerau hatte den Betrieb zwei Jahre lang nicht kontrolliert – obwohl jährlich ein bis zwei Kontrollen erforderlich waren. Auf Nachfrage räumte der Landkreis ein, den Einsatz nicht entsprechend den gesetzlichen Vorgaben überwacht zu haben.
Weniger Unternehmenskontrollen wegen Corona
Grundsätzlich hat das Amt während der Corona-Pandemie „deutlich sehr wenige“ Kontrollen bei Betrieben durchgeführt, die wegen erhöhter gesundheitlicher Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher häufiger kontrolliert werden müssen. Insgesamt konnten im Jahr 2021 nur etwa 45 % der geplanten Prüfungen erfüllt werden. Lesen Sie auch Die Zahl der Beschäftigten sei theoretisch ausreichend, teilte der Landkreis mit. In Wirklichkeit waren aber während der Pandemie mehrere Lebensmittelkontrolleure und ein Amtstierarzt zeitweise für andere Aufgaben im Einsatz, etwa Kontakterkennung bei Corona-Fällen. Landeshauptmann Thomas Will (SPD) und Gesundheitsminister Walter Astheimer (Grüne) bedauerten auf Nachfrage „zutiefst“, dass „es eine Kontrolllücke gegeben habe, die die Gesundheit und das Leben von Menschen gefährden könnte“. Personalengpässe in Lebensmittelämtern sind seit langem ein bundesweites Problem. Schon vor der Pandemie scheiterte etwa jede dritte vorgeschriebene Werksbesichtigung. Das Coronavirus hat den Zustand offenbar weiter verschlechtert. In Hessen absolvierten die Ämter 2020 nur 53 Prozent ihrer Pflichtprüfungen, Sachsen meldete den gleichen Wert für 2021. In Schleswig-Holstein hatten Sachverständige der Landesregierung zuletzt einen „erheblichen zusätzlichen Personalbedarf“ bestätigt, um leistungsfähig zu sein seine gesetzlichen Aufgaben. Lesen Sie auch Der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure schätzt, dass derzeit bundesweit bis zu 1.500 Kontrolleure vermisst werden. Der stellvertretende Chef Maik Maschke erklärte, die Pandemie habe den Fachkräftemangel „sehr deutlich“ gemacht. Die Situation des Personals könnte zur Entstehung von Lebensmittelskandalen beitragen: „Verstöße gegen die geltende Gesetzgebung wurden festgestellt und werden auch weiterhin nur bei Vor-Ort-Kontrollen durch geeignetes und qualifiziertes Personal aufgedeckt“, sagt Maschke. Die hessischen Behörden wurden Mitte Februar über den aktuellen Lebensmittelskandal informiert und untersagten dem Unternehmen die weitere Lebensmittelverarbeitung. Damit haben sie wohl einen noch größeren Ausbruch verhindert.
Strukturelle Mängel
Allerdings beschreibt der Panelbericht auch diverse bauliche Mängel, wie etwa fehlende Sanitärschleusen und unzureichende Wasserableitung, die kurzfristig nicht eingetreten sein dürften. Die Arbeitsgruppe kommt zu dem Schluss, „dass es nicht möglich war, sichere Lebensmittel in ihrem jetzigen Zustand herzustellen“. Der Landkreis erklärte, er sei trotz bekannter Mängel irrtümlicherweise davon ausgegangen, dass die Lebensmittelsicherheit nicht gefährdet sei.
Auf die Frage, welche politischen Folgen Lebensmittelskandale haben sollen, verweist das Bundeslandwirtschaftsministerium auf das zuständige Land Hessen – die personelle Zuständigkeit für die Lebensmittelkontrolle liege allein bei den Ländern.
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Der für Verbraucherschutz zuständige Vizepräsident der Unionsfraktion, Steffen Bilger, forderte: „Lebensmittelkontrollen müssen immer höchste Priorität haben, das gilt auch in Zeiten der Corona-Krise.“ – und in diesem Fall haben sich viele Menschen in den Krankenhäusern mit Listerien infiziert, weil es erhebliche Hygienemängel im Unternehmen gab, die die Behörden nicht bemerkt hatten – es ist viel passiert, aber nicht genug.
„Die Bundesländer müssen dafür sorgen, dass jederzeit ausreichend Personal für konsequente und zuverlässige Kontrollen zur Verfügung steht und dass Kontrollen auch tatsächlich durchgeführt werden“, sagte Bilger. Er forderte die Bundesregierung auf, ihre koordinierende Rolle bei der Überwachung von Lebensmittelinspektionen auf Schwachstellen wahrzunehmen. Wenn alle Verantwortlichen ihren Job machten, könnten weitere Fälle vermieden werden, sagte Bilger. „Die Behörden sind es den Verbrauchern schuldig, die sich auf die Qualität der Lebensmittelproduktion in Deutschland verlassen können müssen.“
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