Ob Lippenherpes, Windpocken, Gürtelrose oder Epstein-Barr: Die viralen Erreger dieser Erkrankungen gehören alle zu den Herpesviren. Ein typisches Merkmal dieser DNA-Viren ist ihre Fähigkeit, latent zu sein: Nach der Erstinfektion verbleiben sie für immer im Körper und befinden sich in einer Art Ruhezustand. Erst wenn das Immunsystem schwächelt, werden die Herpesviren wieder aktiv. Das Herpes-simplex-Virus 1 verursacht Lippenherpes, steht aber auch im Verdacht, Mitauslöser der Alzheimer-Demenz zu sein. © CDC/ Fred Murphy, Sylvia Whitfield Nach Schätzungen der WHO tragen zwei Drittel aller Menschen den Erreger von Herpes, Herpes simplex 1 (HSV-1), in sich. 95 Prozent der Menschen sind mit Varicella Zoster, dem Erreger von Windpocken und Gürtelrose, infiziert.

Alzheimer durch Herpesviren?

Dass Herpesviren auch bei der Alzheimer-Demenz eine Rolle spielen, wird schon lange vermutet. Das belegen das vermehrte Vorkommen bestimmter Herpesviren in den Gehirnen verstorbener Alzheimer-Patienten, aber auch Laborversuche mit Gewebekulturen menschlicher Gehirnzellen. Darin entdeckte ein Team um Dana Carins von der Tufts University in Massachusetts, dass eine Infektion dieser Kulturen mit Herpesviren zu einer vermehrten Bildung von Neurotransmittern und für die Alzheimer-Krankheit typischen Proteinablagerungen führen kann. Was dahintersteckt und wann Herpesviren solche Alzheimer-Symptome im Gehirn hervorrufen können, haben Cairns und ihre Kollegen nun in einer weiteren Studie genauer untersucht. Dazu entwickelten sie 3D-Gewebekulturen neuraler Stammzellen, die aus menschlichen Neuronen und ihren Helferzellen, den Gliazellen, bestanden. Diese Zellkulturen infizierten sie dann mit Herpes simplex und/oder Varicella zoster.

Alzheimer-Plaques nach Doppelinfektion

Es stellte sich heraus, dass eine Infektion der Gehirnzellen nur mit dem Varizella-Zoster-Virus zu einer Schädigung der Gliazellen und zur Ausschüttung von Entzündungsbotenstoffen führte – nicht aber zu Alzheimer-Plaques. Anders verhielt es sich jedoch, wenn die Gehirnzellen zuvor latent mit Herpes simplex infiziert waren: Die Doppelinfektion reaktivierte die ruhenden HSV-1-Viren und löste eine rasche Bildung von fehlgefalteten Amyloidproteinen Beta und Tau aus – den für Alzheimer charakteristischen Plaques. Als Folge dieser viralen Kettenreaktion wurden die Gehirnzellen in den Kulturen weniger aktiv und starben schließlich ab. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine Windpockeninfektion Entzündungssignale im Gehirn auslöst, die wiederum Herpes simplex wecken“, erklärt Cairns. Dies spricht für eine indirekte Rolle des Varizellen-Erregers bei der Alzheimer-Demenz. Gleichzeitig könnte dies erklären, warum eine latente Herpes-simplex-Infektion allein offenbar nicht ausreicht, um die Krankheit auszulösen – das Virus muss reaktiviert werden. „Es ist ein Doppelschlag aus zwei Viren, die sehr häufig vorkommen, aber meist harmlos sind, wenn man sie einzeln betrachtet. Aber wenn sie zusammenkommen, kann es zu Problemen kommen“, erklärt Cairns.

Die Gürtelrose-Impfung kann schützen

Zur Rolle des Windpockenvirus als „Synergist“ passt auch, dass Menschen, die gegen Windpocken und Gürtelrose geimpft sind, seltener an Alzheimer erkranken. Sie haben auch weniger Wunden auf den Lippen. Cairns und ihr Team führen dies darauf zurück, dass der Effekt des „Aufweckens“ der durch das Varizellenvirus verursachten Entzündung auf die latente Herpesinfektion dann ausbleibt. Das HSV-1-Virus bleibt inaktiv und kann daher seine zerstörerische Wirkung nicht entfalten. Ob die ohnehin für ältere Menschen empfohlene Gürtelrose-Impfung tatsächlich vor einer Alzheimer-Erkrankung schützen oder zumindest das Risiko mindern kann, muss allerdings genauer betrachtet werden. Die Forscher räumen auch ein, dass HSV-1-Vren im Gehirn auch durch andere Faktoren und Einflussfaktoren reaktiviert werden können. „Möglicherweise können auch andere entzündliche Ereignisse im Gehirn zu einem Wiederaufleben des Herpesvirus führen“, sagt Cairns. Dazu gehören Risikofaktoren wie Kopftrauma, Übergewicht oder Alkoholkonsum. (Journal of Alzheimer’s Disease, 2022; doi:10.3233/JAD-220287) Quelle: Tufts University 2. August 2022 – Nadja Podbregar