Songs von Al Bano und Romina Power funktionieren ähnlich. Das Duo scheut auch vor einfachen Reimen wie „amore“ auf „dolore“ nicht zurück und sorgt vor allem im deutschsprachigen Raum für Aufregung. Cutugno und das Pop-Paar gehören zu jenen Interpreten, die Dolce Vita musikalisch und vor allem gewinnbringend exportieren. picturedesk.com/Zuma/Fabio Sasso Weltberühmt in Italien: Fabrizio de Andre in einem Wandgemälde in Scampia, Neapel
Tiefe mit Leichtigkeit
Aber es gibt auch ein musikalisches Italien jenseits des Klischees. Künstler, die die italienische Musik nicht immer erfolgreich im Ausland vertreten, aber mit ihren gesellschaftskritischen Liedern die musikalische DNA Italiens prägen. Eric Pfeil weiß das, er hat einen Musikreiseführer geschrieben. In „Azzurro“ reist er zu „100 Liedern durch Italien“. Das fängt schon beim Genrenamen an, sagt der Musikjournalist im Interview mit ORF.at. Der Begriff Italopop wird in Italien nicht verwendet, sondern musica leggera, zu deutsch: Unterhaltungsmusik. „Dunkle und Komplexe werden nicht ausgespart, sondern in leichte Gesten gehüllt“, sagt Pfeil. Das bedeutet: Tiefe Texte treffen auf eingängige Melodien. Mehrere italienische Interpreten haben sich diesem Credo von musica leggera verschrieben und mit ihren Liedern auf Missstände in ihrem Land aufmerksam gemacht und tun dies noch immer. Und davon gibt es in Italien nicht wenige. Sie besangen politischen Katholizismus, Mafia, Neofaschismus und Korruption und trafen damit den Nerv ihrer Zeit. Sie werden Cantautori genannt. Sie waren die italienischen Singer-Songwriter der frühen 1960er Jahre, wie die Wörter cantante (dt. „Sänger“) und autore (dt. „Schriftsteller“) andeuten.
Singen Sie, was Italien fühlt
Mit dem selbst geschriebenen Welthit „Nel blu dipinto di blu“, auch bekannt als „Volare“, galt Domenico Modguno 1958 als Pionier der Cantatori, da es bis dahin gang und gäbe war, dass Sänger keine Songwriter sein sollten. Luigi Tenko soll auch der erste seiner Art gewesen sein, der sich 1967 beim berühmten San Remo Festival, dem Vorbild des Eurovision Song Contest, das Leben nahm, weil er es mit „Ciao amore, ciao“ nicht ins Finale schaffte. Tenco wurde zum dunklen Symbol von Cantautori – wegen seines antimilitaristischen Abschiedslieds, aber auch weil sein Selbstmord die Bedeutung der Musik im Leben vieler Italiener deutlich machte. Tenco gehörte der Genueser Schule an, einer Gruppe von Künstlern, die das Lied des italienischen Komponisten erfanden – ebenso wie Fabrizio de Andre. Noch heute, 23 Jahre nach seinem Tod, gilt er als einer der größten Kanta-Autoren. Und: als jemand, der sich in den Texten seiner Lieder auf die Seite von Diskriminierungsopfern stellt – von sardischen Hirten, die von Homosexuellen bedroht werden. Ein Thema, das auch Lucio Dalla wichtig war. Als Katholik und jemand, dessen Sexualität heiß diskutiert wurde, vereinte der Cantautore die Widersprüche Italiens – auch weil Nord- und Süditalien schon immer uneins waren, jede Region ihre eigenen Stimmen hat und Dalla – aus dem Norden kommt Emilia-Romagna – er machte Nutzung der Gesangskultur Neapels, wie in seinem Welthit „Caruso“, den er zeitweise auf neapolitanisch singt. KiWi-Verlag Eric Pfeil: “Azzurro”. Mit 100 Liedern aus Italien. Aktinidio, 368 S., 14,40 Euro Die Liste der Singer-Songwriter ist lang. Was sie eint, ist, dass sie mit ihren gesellschaftskritischen Songs in den 70er Jahren ihre Blütezeit hatten: Es waren die anni di piombo, die bleiernen Jahre. Italien war geprägt von neofaschistischer und linksradikaler Gewalt. Viele der italienischen Singer-Songwriter verarbeiteten das nationale Trauma Italiens in ihren Songs und werden dafür noch heute als Helden verehrt. Übrigens geht es auch in “Azzurro” um ein italienisches Trauma, wenn auch ohne solchen Ernst. Adriano Celentano, der italienische Popstar und Entertainer schlechthin, singt mit gebrochener Stimme über seine Geliebte, die am Strand liegt, während der Protagonist in der brütenden Hitze der Stadt gefangen ist und keinen einzigen „Priester zum Reden“ findet („neanche un prete per chiacchierar”). Der Welthit stammt aus der Feder des jazzbeeinflussten Cantografo Paolo Conte, der auch hierzulande berühmt ist. „Azzurro“ ist zusammen mit mehr als 200.000 anderen italienischen Liedern, die zwischen 1900 und 2000 veröffentlicht wurden, kostenlos auf „Canzone Italiana“, einer Website des italienischen Kulturministeriums, zu hören.
Frauen in der italienischen Popmusik
In der männlich dominierten musica leggera sollten weibliche Cantautris nicht vergessen werden. Im alten katholischen Italien sorgten sie oft für Skandale, indem sie über sexuelle Eigenständigkeit sangen. Mina beispielsweise wurde in den sechziger Jahren zum Vorbild vieler Italienerinnen. Sie fiel nicht nur durch ihre Stimme auf, die sich über drei Oktaven erstreckte, sondern auch, weil sie in „Il cielo in una stanza“ über die postkoitale Lethargie eines Paares sang und damit die erste in ihrer Zunft war, die über Sex sang. . Rund zwanzig Jahre später war es Gianna Nanini, deren Welthit „Bello e impossibile“ als vorzeitiger Ausstieg interpretiert wurde. Nannini passte sich bewusst nicht den Vorstellungen an, wie ein weiblicher Popstar im Italien der achtziger Jahre aussehen und handeln sollte, es ging ihr eher um feministische Agenden. Laura Pausini hingegen zeigt sich skandalfrei und funkelnd. Die italienische Sängerin bekennt sich nicht nur öffentlich zu ihrem römisch-katholischen Glauben, sondern repräsentiert auch eine Generation stilvoller, international vermarktbarer Superstars, die Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre auftauchte. Auch Eros Ramazotti, der sich sehr am anglo-amerikanischen Musikmarkt orientiert, gehört zu dieser Sorte italienischer Popstars.
Beide Pole der italienischen Popmusik
Seine Bühne ist das Festival della Canzone Italiana in Sanremo. Die Sommerhits finden seit 1951 in der traditionellen Veranstaltungsreihe in Ligurien statt. „Eine Ware, die in Italien extrem wichtig ist. Dort wird die größte Kunst Italiens, die Unterhaltungsmusik, in vollendeter Form zelebriert“, so Autor Pfeil. Einmal im Jahr, während der Live-Übertragung des italienischen öffentlich-rechtlichen Senders Radiotelevisione Italiana, trete Italiens nächste Generation von Popstars in Quoten ähnlich wie bei hochkarätigen Fußballspielen gegeneinander an, sagte Pfeil. „Du hast Favoriten, alte Veteranen kommen auf die Bühne, singen mit den Jungen mit, es gibt Skandale und Aufruhr, das ist der absolute Wahnsinn.“ Auch der Grenzgänger Jovanotti performte in Sanremo seine Songs, die sich irgendwo zwischen hochkommerziellem Pop und Schriftstellerliedern bewegen, in die er politische Statements packt. An den Stränden von Lignano, Rimini und anderen Touristenhochburgen feiert der von Rap und Hip-Hop beeinflusste Popstar heuer zum zweiten Mal seine „Jova Beach Party“. picturedesk.com/PA/Ettore Griffoni Gegen Pandemie-Erinnerungen mit Höhepunkten: Jovanotti feiert den Sommer in Lignano Bis heute ist Sanremo ein Festival, das die beiden Pole der italienischen Popmusik vereint: als Bühne für echte Kantoren und Superstars, die sich auch international vermarkten lassen. Es bringt auch Newcomer in die Szene, die das Erbe früherer Kantatori durch gesellschaftskritische Songtexte fortführen.
Musik gegen die Krise
Die 20-jährige Künstlerin Madame verbindet ihr Erbe der lyrischen italienischen Canzone mit Hip-Hop. Die queere Rapperin erhielt im vergangenen Jahr für ihren Song „Voce“ den Preis für den besten Text in Sanremo. Ihr Lied, das auf Deutsch „Stimme“ bedeutet, kann als Ode an sie oder als Liebeserklärung an eine Frau gelesen werden. Der Künstler Mahmood, der nicht nur 2019, sondern auch dieses Jahr beim Sanremo Festival den ersten Platz belegte, ist mit den Canta-Autoren Dalla and Conte aufgewachsen. Mahmoud ist wie Dala bekennender Christ und homosexuell. Sein Sieg im Jahr 2019 löste auch eine politische Debatte über Identität und darüber aus, wer ein „echter“ Italiener ist. Matteo Salvini kritisierte, dass der Sänger mit ägyptischem Vater und sardischer Mutter mit seinem Song „Soldi“ zum Sieger von Sanremo und damit zum Teilnehmer am Eurovision Song Contest gekürt wurde. Als „Zukunft“ der italienischen Musik sieht Pfeil auch das Duo Colapesce Dimartino. Die Indie-Rock-beeinflussten Songwriter lieferten im vergangenen Jahr den ultimativen Sommerhit ab. In „musica leggerissima“ singt das Duo, dass man leichte Musik auflegen sollte, um nicht in ein dunkles Loch zu fallen. Im von der Pandemie heimgesuchten Italien wurde das Lied zum Strandhit des Jahres. „Es bringt die Beziehung zwischen Italienern und Unterhaltungsmusik auf den Punkt und wie sie auf schwierige Zeiten reagieren“, sagt Pfeil. In einem Land, in dem Musik so wichtig ist, ist sie die Antwort auf die Herausforderungen. Singen ist in Italien eine Lebensart, Musik fast eine Religion und die Canzone so etwas wie ein nationales Kulturgut. Und: Musik ist der Zement in der Krise.