Der russische Präsident sucht die Nähe zur orthodoxen Kirche. Anstelle von Friedensbotschaften predigt ihr Anführer Cyril Glauben und Hass auf den Westen. Dafür und in seinen eigenen Klassen wird er kritisiert. Von Tilmann Kleinjung, BR

Dietrich Brewer hatte keine großen Erwartungen an den Patriarchen. Aber “eine bedingungslose Ablehnung des Krieges seinerseits würde Hoffnung geben”, sagt der Erzbischof der kleinen lutherischen Kirche in Russland. Kirill hat Brewers Hoffnungen enttäuscht: Der 75-jährige Patriarch hat die Kriegspolitik von Präsident Putin vom ersten Tag an unterstützt. „Was gesagt wurde, macht Sie traurig und enttäuscht“, schrieb Brewer in einer E-Mail. Und er kannte nicht einmal die Predigt des Patriarchen von Moskau am vergangenen Sonntag. „Möge der Herrgott uns allen helfen, uns in dieser schwierigen Zeit für unser Land zu vereinen, auch um die staatlichen Institutionen herum“, sagte Cyril bei der Einweihung einer Kirche in Moskau.

Also wieder keine Kritik am Kreml. Stattdessen legitimierte Kyrill den Angriff Russlands auf die Ukraine religiös – als “metaphysischen Kampf” des Guten gegen das Böse, sagt Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin. Der Westen greife diese traditionelle Welt an. mit seinen degenerierten Werten, mit Liberalismus und Säkularismus”.

Lebensthema: Klagen beim Westen

Es scheint das Thema des Lebens des Patriarchen von Moskau zu sein. Auch als Auslandsvertreter der russischen Kirche prangerte er bei jeder Gelegenheit die angebliche postmoderne Willkür westlicher Gesellschaften an, verteufelte Euthanasie, Homo-Ehe und Abtreibungen. Menschen des Glaubens „könnten nicht gleichzeitig den Wert der Familie und die Zulässigkeit von Homosexualität anerkennen“, sagte er bei einem ökumenischen Treffen 2007 in Sibiu, Rumänien.

Und als die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) 2009 Margot Käßmann zu ihrer Ratsvorsitzenden wählte, brach der im selben Jahr gewählte Patriarch Kyrill den Dialog mit den deutschen Protestanten ab: Der Patriarch könne sich nicht mit einer Bischöfin treffen. sagte dann aus Moskau. Frauen im Bischofsamt oder Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Paare – das ist aus Sicht der Welt und der Kirche Kyrills I. eine „Verletzung der Gesetze Gottes“.

                Kyrill I. bei der Einweihung einer Kathedrale in Moskau.  Bild: über REUTERS

Gespräche mit Francisco sind weiterhin möglich

In Kriegszeiten höre es sich etwa so an: Russland wolle die Menschen in der Ostukraine nur vor Schwulenparaden schützen, sagte Kirill wenige Wochen nach Kriegsbeginn in einer Predigt.

Wie viel Einfluss Kirill auf den russischen Präsidenten hat, lässt sich nicht genau bestimmen. Stattdessen hat Wladimir Putin immer wieder die Nähe zur orthodoxen Kirche gesucht. Und während sich die russische Regierung international zunehmend isoliert, pflegt der Patriarch weiterhin weltumspannende Beziehungen – etwa zum Papst in Rom. Nach einer Telefonkonferenz mit Francisco vor einigen Wochen war Cyril froh, „dass unsere Gesprächspartner sich weder von uns distanziert noch zu unseren Feinden gemacht haben“.

                Umarmung: Papst Franziskus und Patriarch Kyrill Bild: REUTERS

Inhaltlich dürfte sich dieses Gespräch nicht so entwickelt haben, wie es der Papst beabsichtigt hatte. Der Patriarch verurteilte den Krieg nicht eindeutig. Doch der Historiker der Augsburger Kirche, Jörg Ernesti, hält solche ökumenischen Treffen für wichtig – allein schon deshalb, weil „der russischen Orthodoxie ein Kommunikationskanal offen geblieben ist“.

Kritik aus dem eigenen Unterricht

Allerdings gibt es in der katholischen Kirche viele, die den Papst bitten, sich deutlicher von Putin und dem Patriarchen zu distanzieren. Die Theologin Regina Elsner stellt fest, dass “die Art und Weise, wie Patriarch Kyrill diesen Krieg in den vergangenen sechs Wochen unterstützt hat, keine Grundlage mehr dafür bietet, dass wir miteinander über christliche Werte sprechen.”

Auch aus den eigenen Reihen wird Druck auf Kyrill ausgeübt: Rund 260 russisch-orthodoxe Geistliche aus der Ukraine fordern einen kirchlichen Prozess gegen den Patriarchen von Moskau.