Einheitliche Maßnahmen zur Vertrauensbildung
Ein ähnliches Bild sieht er in Österreich, wo Krisenmanagement als gemeinsame Anstrengung begann – und bei kleinen lokalen Lösungen endete. „Wenn man sieht, dass die Dinge auf 50 Kilometer Entfernung ganz anders gehandhabt werden, stärkt das nicht gerade das Verständnis und das Vertrauen“, sagt Anschober. Es wurde verstanden, dass die Krise nur gemeinsam gelöst werden kann. Auch der Ukraine-Krieg zeige es als eine Art Mission: “Du kannst nicht gut sein, wenn andere woanders schlecht sind.” Deshalb können Lösungen für große Krisen nur in größerem Maßstab und mit einem gemeinsamen Willen angegangen werden.
Gespräch mit dem ehemaligen Gesundheitsminister Rudolf Anschober
Anschober will eine gemeinsame schonende Politik für Europa. “Nur wenn wir die Fälle auf nationaler Ebene niedrig halten, können wir eine Pandemie unter Kontrolle bringen” – was auch bedeutet, dass Europas Gesundheitsminister mehr Macht brauchen – und dass Entscheidungen über intensive europäische Maßnahmen getroffen werden müssen. „Jetzt müssen wir uns gemeinsam auf den Herbst vorbereiten“, rät Anschober, der uns auch daran erinnert, dass die Pandemie einfach nicht vorbei ist. ORF.at Anschober im Gespräch: „Blick nach vorne – Ein Vergleich mit Kurz würde nur den Blick versperren.“
Reorganisation für WER?
Aus Pandemie-Lehren sollte für ihn auch die WHO neu organisiert werden – „am liebsten als Datenknoten für globale Pandemie-Entwicklungen“. Anschober ist zuversichtlich, dass das Phänomen Zoonose weiter zunehmen wird, man muss sich also auf weitere Szenarien einstellen. Der Glaube, dass SARS-Covid wie bei ähnlichen Grippewellen in der Vergangenheit überleben wird, hat sich gerade als falsch erwiesen.
Das Buch
Rudolf Anschober: Pandemie. Ideen und Perspektiven. Zsolnay, 270 Seiten, 24,70 Euro. Zolnai „Aus heiterem Himmel für eine europäische Pandemiepolitik“ möchte Anschober, der Landes- und Bundespolitik, aber auch die Stagnation von Krisengipfeln kennt, als Botschaft aus eigener Erfahrung herausholen. Doch das Wichtigste im Verhältnis von Politik und Bevölkerung sei für ihn: „Wir müssen wieder Erfolgserlebnisse haben – und das Vertrauen muss wiederhergestellt werden.“
Ebene Österreich und Realpolitik
In Österreich brauche es klare Bundeszuständigkeiten und eine noch klarere Rollentrennung im Umgang mit der Pandemie, sagt er. Auf die Frage, ob Österreich als Realpolitik-Weltmeister, der seinen eigenen Gesetzen folgt, mehr Regeln brauche, antwortet Anschober: Tatsächlich sind die Menschen der Politik oft voraus. Er will auch nicht alle Länder zusammenbringen, weil er an manchen Stellen sehr gut gearbeitet hat. Anschober ist jedenfalls auch der festen Überzeugung, dass es eine Annäherung zwischen den Bundesländern und Wien geben sollte, zumal eine Zwei-Millionen-Stadt mitunter ganz andere Bedürfnisse hat als andere Landesteile. Lösungen müssten aber immer ganzheitlich betrachtet werden: „Was man in dieser Pandemie sieht, ist, dass die Kleinteiligkeit der Dinge auch ihren eigenen Populismus hat.“ Österreich
Anschober: „Keine Aussprache bei Kurz“
Er ist jedenfalls froh, dass sich die populistische Parole, dass es einem nur gut geht, wenn es anderen schlecht geht – „das Gegenteil passiert“, nicht erfüllt wird. Aufgrund der Bedrohungen der Gegenwart gibt es nun ein neues Bewusstsein – und das gilt es zu nutzen. Auch um zu zeigen, wie eng die einzelnen Krisen letztlich miteinander verknüpft waren und wir auch nach ganzheitlichen Lösungen gesucht haben. Auf jeden Fall will er auf seiner Lesetour das Gespräch suchen – und dass er Freunde nicht immer nur trifft, sondern auch kennt. Wie sehr die Menschen die Pandemie jetzt danach lesen wollen, wird der Meilenstein für den Erfolg des Buches sein. Es könnte ein Anstoß für eine intensive Diskussion sein.