Die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten nimmt kein Ende. Während Israel neue Angriffe auf den Gazastreifen startet, feuern militante Palästinenser Raketen auf Israel ab. Das Ausland reagierte besorgt, der UN-Sicherheitsrat will sich zu Beratungen treffen.
Im Nahen Osten gab es die schlimmste Eskalation der Gewalt zwischen Israel und militanten Palästinensern seit mehr als einem Jahr. Das israelische Militär führt seit Freitag Luftangriffe im Gazastreifen durch und tötete nach Angaben des Militärs 15 Extremisten, darunter einen Anführer der militanten Gruppe Palästinensischer Islamischer Dschihad (PIJ). Militante Palästinenser wiederum bombardieren den Süden Israels mit Raketen. Laut israelischen Militärquellen zielte eine dieser Raketen auf mehrere Zivilisten im Gazastreifen und tötete sie, darunter auch Kinder.
Offenbar will Ägypten nun Schiedsrichter werden. Eine Delegation sei bereit, nach Israel und Gaza zu reisen, um zu vermitteln, teilten Sicherheitskreise der Nachrichtenagentur dpa in Kairo mit. Damit soll verhindert werden, dass sich der Konflikt wie im vergangenen Jahr ausweitet. Berichten aus Gaza zufolge versuchen auch die Vereinten Nationen und Katar zu vermitteln.
Der UN-Sicherheitsrat wird über die Luftangriffe beraten
Die Luftangriffe sollen am Montag auch auf den UN-Sicherheitsrat in New York abzielen. Aus diplomatischen Quellen hieß es, die Vereinigten Arabischen Emirate, Irland, Frankreich, Norwegen und China hätten um ein Treffen des mächtigsten Gremiums der Vereinten Nationen gebeten. Es wurde noch keine Uhrzeit festgelegt. Das Treffen findet hinter verschlossenen Türen statt.
Nach Angaben von Palästinensern mindestens 24 Tote
Das israelische Militär startete am Freitag die Operation Dawn mit mehreren Luftangriffen im Gazastreifen, nachdem Angriffe auf israelische Zivilisten gedroht hatten. Die Angriffe richteten sich gegen den PIJ, der nach der Hamas die zweitstärkste Militärmacht im Gazastreifen ist. Der Militärführer Taisir al-Jabari und andere PIJ-Mitglieder wurden getötet. Die Gruppe, die enge Verbindungen zu Israels Erzfeind Iran unterhält, wurde von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft. Nach Angaben des Militärs war al-Jabari für Raketenangriffe vom Küstenstreifen und geplante Angriffe auf Zivilisten verantwortlich.
Palästinensischen Quellen zufolge steigt die Zahl der Opfer israelischer Luftangriffe seit Freitag weiter an. Mindestens 24 Menschen seien getötet und 203 verletzt worden, teilte das palästinensische Gesundheitsministerium am Abend mit. Unter den Toten sind sechs Kinder und zwei Frauen.
Mehrere Verhaftungen im Westjordanland
Nach Angaben palästinensischer Sicherheitskreise wurden bei den Anschlägen vom Samstag drei Wohnhäuser getroffen. Ein fünfstöckiges Wohnhaus westlich von Gaza-Stadt wurde zerstört. Anwohner berichteten, dass israelische Drohnen zuvor eine Warnrakete auf das Gebäude abgefeuert hatten, bevor Kampfflugzeuge das Gebäude angriffen.
Das israelische Militär sagte, dass während der Militäroperation nur Waffenproduktionsanlagen, Raketenwerfer, Waffenlager und andere militärische Einrichtungen zerstört wurden. Berichte über zivile Todesfälle seien bekannt und würden untersucht, sagte ein Militärbeamter. Am Samstagabend kam es auch zu mehreren Verhaftungen im Westjordanland im Zusammenhang mit dem Islamischen Dschihad.
Der Konflikt zwischen Israel und militanten Palästinensern hat sich erneut verschärft
Christian Limpert, ARD Tel Aviv, Tagesschau um 20 Uhr, 6. August 2022
Das Fußball-Länderspiel wurde abgesagt
Auch in vielen israelischen Städten wurden heute Warnsirenen ertönen. Nach Angaben eines Militärs wurden seit Freitagnacht mehr als 300 Raketen auf Israel abgefeuert. Sie fielen auf offenes Gelände oder wurden vom Raketenabwehrsystem Iron Dome abgefangen. Einige von ihnen landeten im Gazastreifen.
Mehrere Städte, darunter die Küstenstadt Tel Aviv, öffneten aus Angst vor weiteren Anschlägen öffentliche Luftschutzbunker. Im Süden verbrachten dort viele Menschen die Nacht am Samstag. Das Freundschaftsspiel zwischen Juventus Turin und Atletico Madrid in Tel Aviv wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Auch die Menschen im Raum Tel Aviv wurden vor Raketen gewarnt.
Raketen aus dem Gazastreifen waren am Nachthimmel deutlich zu sehen. Bild: dpa
Stromausfall im Gazastreifen
Unterdessen wurde Gazas einziges Kraftwerk wegen Brennstoffmangels abgeschaltet. Nach Angaben des Elektrizitätsunternehmens wurde die Stromversorgung in der Küstenregion mit mehr als zwei Millionen Einwohnern von zwölf auf vier Stunden reduziert. Israel stoppte am Montag die Treibstoffimporte in die Region und verwies auf die Angst vor Angriffen nach der Verhaftung des Anführers des Islamischen Dschihad im Westjordanland, Bassem Saadi.
Mehrere Tage nach Saadis Verhaftung sperrte Israel Gebiete am Rande des Gazastreifens ab und löste Alarm aus. Vor den israelischen Luftangriffen am Freitag gab es Berichten zufolge konkrete Pläne, israelische Zivilisten anzugreifen.
Ein Ende des Konflikts ist nicht in Sicht
Einem Bericht zufolge scheint der Islamische Dschihad derzeit nicht bereit für einen Waffenstillstand. „Unsere oberste Priorität ist jetzt, der Besatzung zu widerstehen, der Aggression entgegenzuwirken und auf diesen Terror und diese Angriffe auf unser Volk zu reagieren“, sagte der Sprecher der Gruppe, Dawud Shihab, gegenüber Al-Majadin TV. Entscheidend ist laut Experten nun, wie die Hamas auf die Angriffe reagiert.
Der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz sagte: „Unsere operativen Aktivitäten gegen die Täter des Terrorismus werden fortgesetzt und intensiviert.“ Das Militär hat angekündigt, sich auf einen einwöchigen Einsatz vorzubereiten. Für den Abend wurde eine Sitzung des Sicherheitskabinetts einberufen.
Man verfolge die Ereignisse mit großer Besorgnis, sagte ein EU-Sprecher und rief alle Seiten zu maximaler Zurückhaltung auf. „Während Israel das Recht hat, seine Zivilbevölkerung zu schützen, muss alles getan werden, um eine Eskalation des Konflikts zu vermeiden.“ …