Zum ersten Mal seit Monaten hat eine Schiffsladung mit Getreide den Hafen von Odessa verlassen. Durch die Wiederinbetriebnahme dreier Häfen im Rahmen des Getreideabkommens hofft die Ukraine auf hohe Einnahmen. Erstmals seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat wieder ein Schiff mit Getreide den Hafen von Odessa verlassen. Das mit Mais beladene Frachtschiff “Razoni” sei in Richtung Libanon aufgebrochen, teilte das türkische Verteidigungsministerium mit. Weitere Schiffe sollen folgen. Das Frachtschiff “Razoni” fährt unter der Flagge des westafrikanischen Staates Sierra Leone. “Heute unternimmt die Ukraine zusammen mit ihren Partnern einen weiteren Schritt, um Hunger in der Welt zu verhindern”, teilte der ukrainische Infrastrukturminister Oleksandr Kubrakow mit. Nach Angaben einer von den Vereinten Nationen geleiteten internationalen Koordinationsgruppe hat das Schiff mehr als 26.000 Tonnen Mais geladen.
Erstes Getreideschiff verlässt Hafen von Odessa
Ingrid Bertram, WDR, tagesschau 12:00 Uhr, 1.8.2022
Internationales Aufatmen
“Das ist ein Hoffnungsschimmer”, sagte ein Sprecher des Bundesaußenministeriums in Berlin zu dem ersten Getreide-Export aus der Ukraine per Schiff seit Kriegsbeginn. Dies sei zu begrüßen. Nun sei es wichtig, dass weitere Schiffe aus ukrainischen Schwarzmeer-Häfen auslaufen könnten. Außerdem müsse an alternativen Routen gearbeitet werden, um den Getreide-Stau aufzulösen.
Auch Russland begrüßte den Start des ersten Frachtschiffes mit ukrainischem Getreide aus dem Schwarzmeer-Hafen Odessa. “Das ist ziemlich positiv”, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Außerdem sagte Peskow:
Wir wollen hoffen, dass die Vereinbarungen von allen Seiten erfüllt werden und dass die Mechanismen wirksam arbeiten.
Die Vereinten Nationen zeigten sich ebenfalls erfreut über die Entwicklung und teilten mit, Generalsekretär António Guterres hoffe, dass der Frachter nur das erste von vielen Schiffen sein werde, die ukrainisches Getreide ins Ausland transportierten. Die Lieferungen brächten dringend benötigte Stabilität und Erleichterung für die weltweite Nahrungsmittelsicherheit – “vor allem dort, wo die humanitäre Lage besonders labil ist”.
Ukraine will weiter verhandeln
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, es sei ein “Tag der Erleichterung für die Welt, vor allem für unsere Freunde im Nahen Osten, in Asien und Afrika”. Die Ukraine sei “stets ein verlässlicher Partner” gewesen und werde es auch bleiben, “sofern Russland seinen Teil des Abkommens einhält”. Infrastrukturminister Kubrakow kündigte unterdessen an, wenn das Getreideabkommen mit Russland halte, wolle die Ukraine Verhandlungen aufnehmen und versuchen, auch den Hafen Mykolajiw für die Ausfuhr von Getreide per Schiff zu öffnen. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar zeigte sich vorsichtig optimistisch, dass das Abkommen länger hält als die im Vertrag zunächst vorgesehenen 120 Tage. “Sollte es keine Einwände von einer der Parteien geben, wird es automatisch verlängert”, sagte er. “Auch in unseren Gesprächen mit den Vertretern der beteiligten Parteien sind wir uns darin einig geworden, dass die Festlegung auf eine bestimmte Zeit nur symbolisch ist und es das Wichtigste ist, die globale Versorgung sicherzustellen. Deswegen wird diese Aktion solange laufen, wie sie laufen muss.”
Wichtige Einnahmequelle für die Ukraine
Die Ukraine und Russland hatten unter Vermittlung der Vereinten Nationen jeweils getrennt mit der Türkei ein Abkommen in Istanbul unterzeichnet, um von drei Häfen Getreideausfuhren aus der Ukraine zu ermöglichen. Von der Vorjahresernte warten ukrainischen Angaben zufolge noch über 20 Millionen Tonnen Getreide auf die Ausfuhr. Die Silos müssen wegen der neuen Ernte dringend freigemacht werden. Die Ukraine zählte vor dem russischen Angriffskrieg zu den wichtigsten Getreideexporteuren der Welt. Für sie geht es um Milliardeneinnahmen aus dem Verkauf unter anderem von Weizen und Mais. Durch die Wiederinbetriebnahme der drei Häfen könne die Wirtschaft der Ukraine mindestens eine Milliarde US-Dollar (rund 980 Millionen Euro) einnehmen und Planungen im Agrarsektor ermöglichen, sagte Kubrakow. 16 weitere Schiffe warteten bereits in den Häfen am Schwarzen Meer auf ihre Abfahrt. Konfliktparteien als Quelle Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Kontrollzentrum in Istanbul
Die Exporte werden von einem Kontrollzentrum in Istanbul überwacht, das mit Vertretern Russlands, der Ukraine, der Vereinten Nationen und der Türkei besetzt ist. Die durch Istanbul verlaufende Meerenge Bosporus ist der einzige Seeweg vom Schwarzen Meer zum Mittelmeer. Die Türkei hat die Hoheit über den Bosporus. Schiffe sollen bei der Ein- und Ausfahrt ins Schwarze Meer inspiziert werden. So soll auf Verlangen Russlands sichergestellt werden, dass die Schiffe keine Waffen oder Ähnliches an Bord haben. Russland befürchtet, dass die Ukraine aus dem Erlös des Getreideverkaufs Waffen beschafft. Das Frachtschiff “Razoni” werde am Nachmittag vor der Küste der Meerenge Bosporus in Istanbul sein, sagte der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. Nach dem Ankern werde die gemeinsame Delegation es kontrollieren. “Auch die nachfolgenden Schiffe werden auf ähnliche Weise problemlos weiterfahren.” Das Abkommen umfasst die ukrainischen Häfen Odessa, Tschornomorsk und Juschny (Piwdennyj). Nur einen Tag nach der Vereinbarung hatte Russland den Hafen von Odessa beschossen und damit zwischenzeitlich die Besorgnis ausgelöst, dass der Getreidedeal platzen könne.
Nahrungsmittel werden dringend benötigt
Die Nahrungsmittel aus der Ukraine werden auf dem Weltmarkt – vor allem in Asien und Afrika – dringend benötigt. Die Vereinten Nationen warnten zuletzt schon vor der größten Hungersnot seit Jahrzehnten. Die UN und die Türkei hatten bei der Unterzeichnung des Abkommens mit Russland und…