Stand: 31.07.2022 04:02 Uhr
Das 9-Euro-Ticket ist seit gut zwei Monaten im Umlauf. Wie sind die Erfahrungen? Wird es in Zukunft etwas Ähnliches geben – und wie viel darf es dann kosten? Die wichtigsten Fragen und Antworten. Von Tina Händel, ARD-Hauptstadtstudio
Ist ein Fortsetzungsticket politisch wünschenswert?
In Koalition drängen die Grünen auf ein möglichst baldiges Gewerkschaftsticket. Das Ticket sei eine “Inspiration”, die jetzt nicht abgerissen werden dürfe, sagt Stefan Gelbhaar, Verkehrspolizist der Grünen Fraktion. “Wir könnten eine Übergangslösung für den Herbst finden.” So bleibt Zeit, um genau auszuarbeiten, wie ein dauerhaftes Angebot aussehen könnte.
Doch dafür müssen Bundesverkehrsministerium und Länder zustimmen – und zwar so schnell wie möglich. Volker Wissing (FDP) hat das Ticket immer wieder als “Erfolg” bezeichnet, blockiert es aber in der entscheidenden Frage der Finanzierung. Wissing bezieht sich auf die Bundesländer. Die Bundesländer hingegen sind durchaus an einer Nachregelung interessiert, sehen aber den Bund im Zug, der seine Mittel aufstocken muss.
„Alle gehören an einen Tisch“, sagt Philipp Kosok von der Denkfabrik Agora Verkehrswende. “Der Verkehrsminister sollte kein schwaches Bein tun und die Bundesländer auch nicht.” Das Ticket ist also in der Politik beliebt, um die Kosten der Inflation für die Bürger aufzufangen, aber bisher will es kaum jemand weiter finanzieren. Das Verkehrsministerium will nun Studien abwarten, die genau zeigen, wie das Ticket den täglichen Verkehr verändern wird.
Was hat das Ticket bisher geleistet?
Am Anfang war das 9-Euro-Ticket vor allem ein gesellschaftspolitisches Instrument: ein Geschenk an die Bürger, natürlich aus Steuergeldern, in teuren Zeiten. Nun besteht die Hoffnung, dass es auch Auswirkungen auf die Umwelt hat – nur so lassen sich die Subventionen in Milliardenhöhe rechtfertigen.
Doch erste Analysen sind entmutigend: „Wir haben einen sehr geringen Verdrängungseffekt“, sagt Christian Böttger, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. „Die Idee, Leute von Autos zu wechseln, scheint also nicht zu funktionieren.“ Das zeigten die ersten Handydaten, mit denen sich Routen auswerten lassen. Stattdessen würden Kunden, die ohnehin öffentliche Verkehrsmittel nutzen, diese nun noch stärker nutzen. „Damit bringen sie das System an den Rand des Zusammenbruchs“, sagt Böttger.
Auch der Dresdner Mobilitätsforscher Jan Schlüter kam bei seiner Recherche auf eine überschaubare Zahl von Umsteigern: 7 Prozent der Autofahrer würden es mittlerweile mit öffentlichen Verkehrsmitteln versuchen. Er sieht es aber positiver: „Sieben Prozent sind eine riesige Zahl, weil es nur für eine begrenzte Zeit ist. Wie viele Menschen ändern einfach ihre Gewohnheiten?“
Wie viel darf ein Stehplatzticket kosten?
Auch wenn es mittlerweile Berichte darüber gibt – kaum jemand glaubt daran, dass er für neun Euro eine Dauerkarte bekommen kann. „Für die drei Monate war das ein super Schnäppchenangebot“, sagt Stefan Gelbhaar von den Grünen. „Aber jeder weiß, dass Mobilität Geld kostet. Dass es nicht extrem günstig sein muss, legen auch die Daten der ersten Befragung nahe.
Je nach Wohnort seien die Menschen bereit, deutlich mehr zu zahlen: In Städten liege die Schmerzgrenze der Befragten derzeit bei etwa 60 Euro, sagt Jan Schlüter von der TU Dresden. “In ländlichen Gebieten geht es um 100 Euro und mehr.” Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen hat ein Ticket für 69 Euro vorgeschlagen. Aber selbst dieser Preis würde bedeuten, dass jährlich zwei Milliarden Euro an Subventionen benötigt würden. Zumindest, weil auch hier die Energie-, Material- und Personalkosten steigen.
Diskutiert wird auch, ob es mittelfristig nicht ein Ticket für alle geben könnte, sondern sozial abgestufte Preise. Die Grünen zum Beispiel können sich das vorstellen. Aber alle sagen auch: Simplicity is key. Ein Klein-Klein-Tarif hätte abschreckende Wirkung.
Wo könnte das Ticket in Zukunft gültig sein?
Der Reiz des aktuellen Tickets liegt ganz klar in seiner bundesweiten Gültigkeit – so sehen es Wissenschaft und Politik: „Die Leute finden es toll, dass man weiterfahren kann, ohne sich Gedanken über das benötigte Ticket machen zu müssen“, sagt Tim Alexandrin, Sprecher des Bundesministeriums des Verkehrs.
Am attraktivsten sei ein nationales Ticket, sagt Jan Schlüter und verweist auf seine laufenden Recherchen. Recherchen zufolge werden auch Regionaltickets akzeptiert: „Ganz Bayern oder ganz Nordrhein-Westfalen in einem einfachen, günstigen Ticket – das wird auch als attraktiv bewertet“, sagt Schlüter.
Auch Ortstickets können sich die Grünen vorstellen, solange es nicht zu kompliziert wird: „Es ist wahnsinnig einfach, wenn es einen einzigen Preis gibt – das sollten wir nicht unterschätzen“, sagt Stefan Gelbhaar.
Kann sich das die Reederei leisten?
Nicht zum günstigen Preis. Für Philipp Kosok von der Denkfabrik Agora Verkehrswende ist dies das wichtigste Fazit der letzten zwei Monate. Das 9-Euro-Ticket zeige, „dass die Bahnstrecken vielerorts mit den zusätzlichen Menschen überhaupt nicht zurechtkommen“. Das fällt in Städten mit ihren engen Strecken nicht so auf, kommt aber beispielsweise auf vielen Regionalbahnstrecken vor.
Das Ticket führte zu einer seltenen Einigung zwischen den sonst eher feindlichen Bahngewerkschaften GDL und EVG: gegen eine Fortsetzung. Infrastruktur und Personal seien “völlig überfordert”, warnt GDL-Chef Claus Weselsky. Bahnpersonal dürfte nach zwei Monaten Billigtarif eher abschreckend auf neue Experimente gewirkt haben. Und gegen den Willen der Bahnen wird eine dauerhafte Lösung kaum möglich sein.
Manche Wissenschaftler halten das für unüberwindbar: „Ich kann mir angesichts der Widerstände nicht vorstellen, dass das 9-Euro-Ticket in dieser Form verlängert wird“, sagt Christian Böttger. “Also denke ich, dass es auslaufen wird.” …