Für die Umsetzung sind enge Weggefährten des Künstlers verantwortlich, darunter Pflegesohn Leonhard Kopp, der für Handlungen an Menschen und geschlachteten Schweinen an Kreuzen zuständig ist. Nitschs langjähriger Assistent Frank Gassner kümmert sich um Märsche im Innenhof von Nitschs Barrockschloss. Als „Hochamt“ bezeichnete APA-Redakteur Herwig G. Höller die Aufführung: „Abgesehen vom Fokus auf Musik bleibt auch die Zweitfassung mit ihrem Performancereigen der Nitsch’schen Tradition treu. Verändert hat sich jedoch der Zeitgeist: Was vor zwei Jahrzehnten noch für einen Skandal sorgte, zählt nun zum Kanon der Nachkriegskunst.“
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FOTO FEYERL Szene des „Orgien-Mysterien-Theaters” am Samstag auf Schloss Prinzendorf FOTO FEYERL 70 Akteure sind beteiligt FOTO FEYERL Das Werk wurde 1998 am selben Standort uraufgeführt, es soll alle Sinne ansprechen
Skandalpotenzial vorüber
1998 feierte das Werk in Prinzendorf Premiere. Damals gab es Demonstrationen von Tierschützern, eine Weisung eines FPÖ-Landesrats auf sofortige Einstellung und Festnahmen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz. Das Sechstagespiel war einer der größten Kunsteklats der späten 1990er-Jahre. 2022 gehören derartige Reaktionen – zumindest in Österreich – der Vergangenheit an. Von einem Großaufgebot der Polizei war am Samstag auf Schloss Prinzendorf nichts zu sehen und einige private Security-Männer waren ausschließlich damit beschäftigt, unautorisiertes Fotografieren von Nitsch-Fans im Innenhof zu verhindern. Proteste erklangen lediglich aus dem Stall des Anwesens selbst: Ohne, dass dies in der Partitur vorgesehen gewesen wäre, erhob ein Hahn wiederholt und lautstark seine Stimme. APA 1998 demonstrierten vor dem Schloss Prinzendorf Tierschützer gegen das Sechstagespiel
Weniger Aktionen, mehr Musik
„Es war sein größter Wunsch und seit Jahren arbeiteten wir darauf hin, wieder ein Sechstagespiel zu machen“, sagte Nitschs Witwe Rita am Samstagvormittag. Obwohl ihr Gatte lange Zeit schwer krank gekämpft habe, habe er die Zweitaufführung dieses „schönsten Festes der Menschheit“ nun leider nicht mehr erlebt. Bei der jetzigen etappenweisen Inszenierung sei ihr dabei sehr wichtig gewesen, dass sie so realisiert werde, wie sie Nitsch aufgeschrieben habe. Dieses Mal sei dabei die Musik viel wichtiger als 1998 und es passierten weniger Aktionen, erläuterte Rita Nitsch. „Mein Gatte sagte: Wenn sie euch die Aktionen verbieten, dann macht es nur musikalisch“, erklärte sie – mehr dazu in Rita Nitsch: „Prinzendorf soll sein Bayreuth sein“ (noe.ORF.at; 29.4.2022). Mehr zum Thema
1.000 Liter Blut für Nitschs Sechstagespiel
Ein Orchester unter der Leitung des Dirigenten Andrea Cusumano verwandelte Kompositionen des Künstlers in wunderbare Klangteppiche, die gerade auch Schlüsselszenen der Performances hervorhoben. Gerade in diesen emotionsstarken Momenten, in denen Akteure schwer exaltiert Innereien an Schweinskadavern rieben oder gekreuzigte Personen mit Blut oder Wein beschütteten, zeigte sich am Samstag die bleibende Qualität von Nitschs „Orgien-Mysterien-Theater“. An diesen Höhepunkten spielten alle Musikerinnen und Musiker laut nahe beieinanderliegende Töne und es begann lautes Glockengeläute – sichtlich ein Hinweis auf Nitschs katholische Sozialisierung.
Prozessionen zu Weinkellern
Die Akteure, deren weiße Kleidung durch massenhaft verschüttetes Blut sich zunehmend rot färbte, begaben sich am Nachmittag aber auch auf Prozessionen. Unweit der letzten Ruhestätte des kürzlich am Areal des Schlosses begrabenen Künstlers zogen sie dabei durch den Schlosspark und zu Weinkellern in der Nachbarschaft – Blasmusiker aus einem tschechischen Dorf verliehen diesem Part nahezu Volksfestcharakter. Die Stimmung des Publikums verbesserte sich dabei nicht nur durch den obligatorischen Weingenuss.
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FOTO FEYERL Am Nachmittag kamen neue Elemente zum Einsatz, auch eine Blasmusikkapelle nahm teil FOTO FEYERL Nitschs Pflegesohn Leonhard Kopp sowie sein langjähriger Assistent Frank Gassner übernahmen jene schrillen Pfeifen, mit denen Nitsch früher Regieanweisungen ankündigte FOTO FEYERL Szene aus dem Orgien-Mysterien-Theater FOTO FEYERL Das Werk soll alle Sinne ansprechen Die späteren Nachmittagsstunden an 1. Tag gestaltete sich schließlich auch dynamischer als der Vormittag, zum Einsatz kamen neue Elemente. Vor einem Kreuz posierte etwa eine Frau mit leerer Monstranz, an einem Tisch vermischten zwei Veteranen bis fast zur Erschöpfung Tomaten, Trauben und Blut. „Ich mache seit 1974 mit, seit ich Nitsch in einer Galerie in Neapel getroffen habe“, erläuterte die gebürtige Kroatin Jasmin Baa. Ihr Partner in der konkreten Episode, der italienische Künstler Giuseppe Zevola, erklärte der APA, dass er seit einer Ausstellung in Florenz 1976 in Performances seines österreichischen Kollegen aufgetreten sei.
Ehemalige Schüler von Nitsch nehmen teil
Dominierend am Samstag waren dabei freilich Akteure einer deutlich jüngeren Generation. Es sei „wahnsinnig geil“, kommentierte die österreichische Künstlerin Pia Kober. „Man vergisst alles rund herum und ist nur in diesem Tun drinnen“, sagte Kober, die die Meisterklasse von Nitsch an der Akademie der Bildenden Künste Kolbermoor absolvierte. Es sei eine große Ehre, dass sie beim „6-Tage-Spiel“ mitmachen dürfe. Laut Veranstalterangaben waren für das Wochenende etwa 500 Besucher angemeldet. Nachdem die Coronavirus-Pandemie im vergangenen Jahr eine Wiederaufführung zu Lebzeiten des Künstlers vereitelt hatte, beschränken sich Veranstalter auch 2022 zur Reduktion von Infektionsrisken auf einen Teil der Inszenierung, die auf einer im Frühjahr 2021 finalisierten Partitur basiert.