08.04.2022, 00:55
Der neue „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth kommt beim Publikum nicht gut an. Nachdem die Wagnerianer im „Rheingold“ gescheitert sind, kennt auch die Inszenierung von „Siegfried“ keine Gnade. Die vor Ideen strotzende Regieidee von Valentin Schwarz beginnt sich nun langsam aber sicher auszuzahlen. Valentin Schwarz hatte alle gewarnt: Der Regisseur nannte „Rheingold“ seinen „Pilotfilm“, den ersten Teil des neuen Bayreuther „Ring des Nibelungen“, „der viele Fragen aufwirft, vieles aufreißt und gespannt macht auf das, was folgen wird.“ auch wenn man sie nicht alle auf einmal einordnen kann.“ Im dritten Teil von „Ring“, „Siegfried“, zeigt er, was er damit meint. Nach einem holprigen Start mit „Rheingold“ und „Walküre“ nimmt sein buntes Konzept langsam aber sicher Fahrt auf. Fragen, die in den ersten beiden Teilen aufgeworfen werden, werden nach und nach beantwortet und Licht fällt auf das komplexe Beziehungsgeflecht, das der junge Österreicher in seiner Familiensaga auf die Bühne bringt. Doch das Bayreuther Publikum schätzte es bei der Premiere von „Siegfried“ am Mittwochabend kaum. Wütende Buhrufe brechen aus, als am Ende des dritten Akts der Vorhang fällt – und sie gelten nicht für den musikalischen Teil der Inszenierung. Neben dem mächtigen, kraftvollen Sänger „Siegfried“ Andreas Schager, der wild berühmt ist, gibt es viel Beifall für Daniela Köhler und die warmherzige, wandlungsfähige, wenn auch nicht so kraftvolle Brünnhilde und Dirigent Cornelius Meister. Auch Wotan „Wanderer“ Tomasz Konieczny, der in „Walküre“ so verletzt war, dass er im dritten Akt ausgewechselt werden musste, kommt beim Publikum gut an. Selbst Arnold Bezuyen, der als Pantomime bemerkenswert schwach ist, wird begeistert beklatscht.
Drache als Familienoberhaupt
Vor diesem gut gemeinten Hintergrund ist das gnadenlose Verhalten vieler Zuschauer gegenüber der einfallsreichen Regie noch schwerer nachzuvollziehen. Denn Schwarz hat sich einiges einfallen lassen. So ist der Drache Fafner (Wilhelm Schwinghammer), den Siegfried im zweiten Akt erschlagen muss, in Schwarz kein Fabelwesen, sondern der bettlägerige, betagte Chef einer Mafia-Familie, der seine Amme streichelt. Und dieser stirbt nicht durch Siegfrieds Hand – sondern ganz profan an einem Herzinfarkt. Der junge Mann, der schweigend am Bett des Alten sitzt, entpuppt sich schließlich als das Kind, das Fafner im “Rheingold” im Austausch gegen die Göttertochter Freya entführte: Siegfrieds späterer Mörder Hagen, der in Schwarz’s Stück vor “Götterdämmerung” in der „Ring”-Szene auf. Die etwas ungleiche Freundschaft und Komplizenschaft, die sich zwischen den späteren Rivalen entwickelt, dürfte auch im Schlussteil noch eine entscheidende Rolle spielen. Die Frage, wer das zweite Kind aus „Rheingold“ ist, ein Mädchen, das Walhalla an der Hand von Erda (Okka von der Damerau) verlässt, wird zumindest teilweise – wenn auch weniger künstlerisch – beantwortet. Das inzwischen erwachsene Kind taucht – völlig ungepflegt – wieder bei Erda auf. Wichtige Erkenntnis: Brünnhilde ist es nicht. Denn sie erwacht aus ihrem Schönheitsschlaf wie aus dem Ei gepellt und wird von Siegfried von den Bandagen der Schönheitsoperation befreit. Das Hin und Her, in dem sich das Paar zu verlieren droht, bevor die beiden sich ergeben, wird dadurch verschärft, dass es einen Mann gibt, der all die Jahre auf Brünnhilde gewartet hat. Doch ihre erste Liebe lässt sie gehen – nur um schließlich mit Siegfried im Auto in der Nacht zu verschwinden. Nach „Siegfried“ fehlt nur noch „Götterdämmerung“, um den neuen „Ring“ zu vervollständigen. Die Premiere ist für diesen Freitag geplant. Dann steht erstmals das Regieteam von Schwarz auf der Bühne. Am Donnerstag ist eine Wiederaufnahme der Inszenierung von „Lohengrin“ mit Bühnenbild von Neo Rauch geplant, die in diesem Jahr zum letzten Mal im Green Hill zu sehen sein wird.