2.8.2022 4:21 Uhr

“Asozialer Bullshit” – so lautet die scharfe Kritik, dass der Chef der Arbeitgebergewerkschaft Gesamtmetall seinen Vorstoß erntet, mit 70 in den Ruhestand zu gehen. Sein Vorschlag findet jedoch Anhänger unter Ökonomen. In der Debatte um die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 erhielt Gesamtmetall-Vorstandsvorsitzender Stefan Wolff Unterstützung von Ökonomen. „Der Vorschlag ist richtig und wichtig: Weil er hilft, die Altersarmut zu bekämpfen und auch die Pensionskasse zu entlasten, die vor dem Kollaps steht“, sagte Wirtschaftswissenschaftler Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg der Bild-Zeitung. Seine Meinung überrascht nicht: Raffelhüschen agiert unter anderem als Lobbyist für die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründete „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. „Unternehmerisch“ Monika Schnitzer zeigte sich auch offen für ein höheres Renteneintrittsalter. Gegenüber dem Medienkonzern Funke plädierte Wolf für ein längeres Erwerbsleben und begründete dies unter anderem mit einer alternden Gesellschaft. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der Belastung von Sozial- und Pensionskassen sind die Rücklagen aufgebraucht. „Wir sollten das Rentenalter von 70 Jahren schrittweise erreichen – auch weil die Menschen älter werden“, erklärte Wolf. Andernfalls ist das System mittelfristig nicht mehr wirtschaftlich. Während der Vorschlag von Gewerkschaften, linken Politikern und gesellschaftlichen Organisationen heftig abgelehnt wurde, signalisierte „Wirtschaftsweise“ Schnitzers Unterstützung. „Um die Rente auch in Zukunft zu sichern, gibt es drei Parameter: Renteneintrittsalter, Beitragshöhe und Rentenhöhe. Sie werden nicht darum herumkommen, an allen drei Schrauben zu drehen, wenn wir künftige Generationen nicht überlasten wollen“, sagte der Münchner Wirtschaftsprofessor Funke Mediengruppe. Auch das Mitglied des Beirats zur Bewertung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung forderte flexiblere Wochenarbeitszeiten. „Einige Leute wollen mehr verdienen und sind bereit, dafür länger zu arbeiten“, sagte er. „Andere wollen etwas weniger arbeiten. In Zeiten des Fachkräftemangels sollten Konzepte gefunden werden, die es ermöglichen, möglichst viele Menschen in den Arbeitsmarkt einzubinden.“

Der Sozialverband fordert eine breitere Finanzierung

Dem Vorschlag, mit 70 in Rente zu gehen, widersetzte sich unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Der Schritt sei “nichts anderes als eine Rentenkürzung mit Ankündigung”, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Auch der Sozialverband Deutschlands (SoVD) ordnete das Werk so ein. Vorstandsvorsitzender Ulrich Schneider betont, dass viele Menschen in anspruchsvollen Berufen, wie insbesondere Pflegekräfte, das Rentenalter noch nicht erreichen und Abschläge hinnehmen müssten. „Um die Renten solidarisch und zukunftssicher zu finanzieren, bedarf es letztlich der Einführung eines Bürgerversicherungssystems, in das alle – auch Selbständige, Freiberufler, Politiker und Beamte – zahlt sich aus“, sagt Schneider. Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bendele, schlug vor, die gesetzliche Rentenversicherung auf eine stabilere finanzielle Basis zu stellen. „Statt unrealistischer Gedanken über eine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters müssen wir die gesetzliche Rentenversicherung stärken. Das bedeutet, dass dort künftig alle zahlen müssen – außer Arbeiter, Beamte, Selbstständige und Politiker. “, sagte Bendele. Derzeit ist eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 ohne Abschläge bis 2029 geplant. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil lehnt weitere Anhebungen des Eintrittsalters ab. Schon im Mai hatte er nach dem Vorstoß von Ökonomen, mit 70 in Rente zu gehen, gesagt: „Wir haben uns in der Koalition darauf geeinigt, dass wir das gesetzliche Renteneintrittsalter nicht anheben. Und das wird sich auch nicht ändern.“ Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartz, hatte Wolffs Vorschlag als “asozialen Bullshit” abgetan.