Die Sprache spiegelt einfach die strengen Hierarchien wider, die in der südkoreanischen Unternehmenswelt vorherrschen. Und lange Zeit war dieser Auftrag auch produktiv, was sich als erfolgreiche südkoreanische Unternehmen von Samsung bis Hyundai erwiesen.
Missbrauch von Vorgesetzten
Umgekehrt ist in den letzten Jahren auch immer deutlicher geworden, was diesen Hierarchien im Wege steht. Untersuchungen zufolge traut sich die Mehrheit der Arbeiter in Besprechungen nicht, Kritik zu äußern – und alles, was als Kritik wahrgenommen werden kann. Und ohne Kritik gibt es keinen Fortschritt. Zudem gilt Südkoreas Arbeitswelt nicht nur wegen der exzessiven Überstunden als hochgiftig. Arbeiter sind oft der Willkür ihrer Vorgesetzten ausgesetzt, wobei “Gapjil” das koreanische Wort für diese Misshandlungen ist. Diese reichen von angeordneten Wochenendüberstunden über erzwungenes Rauschtrinken bis hin zu körperlichen und sexuellen Übergriffen. Mit der Rückkehr der Arbeitnehmer aus dem Homeoffice ins Büro nach der Pandemie-Pause ist das Problem wieder deutlicher geworden, wie CNN kürzlich berichtete.
Fall von Nüssen als Höhepunkt
Das auffälligste Beispiel ist der Nussfall von 2014. Cho Hyun Ah, die Tochter des Chefs von Korean Air, wurde in einem Flugzeug wütend, als eine Flugbegleiterin ihr Macadamianüsse in einer Tüte statt in einer Schüssel gab. Es folgte ein Kampf. Cho warf die Flugbegleiterin kurz vor dem Start hinaus, sodass das Flugzeug kurz vor dem Start wieder auf das New Yorker Rollfeld zurückdrehen musste. 2015 wurde Cho zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, der Fall gilt in Südkorea als gesellschaftlicher Wendepunkt.
Ein „anderer Mensch“ im Büro
Startups haben vor einigen Jahren begonnen, Ideen gegen die traditionelle Arbeitskultur des Landes zu entwickeln. Man konkurriert mit Start-ups im Westen – und strenge Hierarchien seien ein Wettbewerbsnachteil, heißt es. Und sie versuchten unter anderem, das Problem mit einem Trick zu lösen. Standardanreden wurden abgeschafft, stattdessen wählen alle Mitarbeiter einen englischen Namen für sich. Und so sprechen in den Meetings nicht der Chef, der Abteilungsleiter und die „kleinen“ Mitarbeiter miteinander, sondern John, Hannah und Brian. Getty Images/tomoyuki sugai Mit flachen Hierarchien wollen Unternehmen innovativer werden Die Betroffenen sagten kürzlich dem US-Sender NPR, dass sie so etwas wie eine berufliche Identität entwickeln, also im Büro in eine ganz andere Rolle schlüpfen, die sie nach getaner Arbeit wieder ablegen.
Auch Unternehmen drehen sich um
Inzwischen setzen auch große Unternehmen auf diese Strategie. Vor einigen Monaten hat auch die SK Group, einer der größten Mischkonzerne des Landes, die neuen Namensvarianten eingeführt. Laut “Korea Times” kündigte Firmenchef Chey Tae Won an, dass er möchte, dass ihn künftig alle “Tony” nennen. Bei Samsung wollen derweil Vizepräsident Han Jong Hee und Firmenpräsident Kyung Kye Hyun sie mit ihren Initialen ansprechen. „Wenn Sie mich bei meiner Berufsbezeichnung nennen, baut das eine Mauer zwischen Ihnen und mir auf. Deshalb möchte ich, dass Sie mich ‚JH’ nennen“, sagte Han Anfang dieses Jahres bei einem Treffen mit Mitarbeitern von Samsung Electronics. Außerdem kündigte er mehrere Aktionen an, um die Kommunikation innerhalb des Unternehmens zu verbessern. Der Vizepräsident der Lotte Group, Kim Sang Hyun, heißt seit einigen Wochen Sam.
Nur Kosmetik?
Ob der Namenstrick tatsächlich zu besserer Kommunikation und faireren Arbeitsbedingungen führt, darf allerdings bezweifelt werden – oder ob er rein kosmetischer Natur bleibt. Glaubt man einer Umfrage der Jobplattform Saramin im vergangenen Jahr, sind die Koreaner selbst skeptisch, berichtet die Korea Times. Nur 6 % wollen mit einem englischen Namen ins Büro gehen. „Die Organisationskultur eines Unternehmens lässt sich nicht sofort reformieren, indem man einfach die Form der Mitarbeiterführung ändert“, resümiert ein Saramin-Vertreter. Unter anderem wurde auch gefordert, Entscheidungsprozesse und Vergütungssysteme in Unternehmen zu reformieren.