Auch 2022 wird es in Salzburgs „Magic Flume“ bunt © APA/BARBARA GINDL
Stoppt den Zirkus! 2018 sorgte Lydia Steyer mit ihrer Inszenierung von Mozarts „Zauberflöte“ bei den Salzburger Festspielen vor allem dank der überladenen Zirkusästhetik für regelrechte Kontroversen. Das war erst vor vier Jahren – und doch wirkt es wie aus einer anderen Welt, vor Krieg, vor Pandemie. Festspielleiter Markus Hinterhäuser hat Steier nun die Möglichkeit gegeben, ihre Regie zu überdenken. Und am Samstagabend war klar: Es hat sich gelohnt. Steier schafft es, ihr teils überbordendes Werk aus dem Jahr 2018, auf das sie sich konzentriert, zu verdichten, die Showeffekte wegzulassen und dadurch insgesamt prägnanter zu sein. Dazu hat der Wechsel vom Großen Festsaal auf die Bühne des deutlich kleineren Hauses für Mozart eine wichtige Rolle gespielt – und nomen est omen funktioniert hervorragend. Damit behielt Steier ihre Grundidee bei, das sagenhaft disparate Libretto der Mozart/Schikaneder-Oper in eine Hintergrundgeschichte zu kleiden. Die Ereignisse werden vom Großvater (Roland Koch) aus einer großbürgerlichen Familie seinen drei Enkelkindern als Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass er als Erzähler den Großteil des Sprechens übernimmt – wofür das Publikum angesichts der Sänger, die oft auf Krippenniveau sprechen, nur dankbar sein kann. So entspringt die gesamte Welt von „Die Zauberflöte“ der Kindheitsphantasie der zweistöckigen Stadtvilla, die die eigene hysterische Mutter mit der Königin der Nacht gleichsetzt, Tamino als Zinnsoldaten erscheinen lässt und seinen Sohn zu einem werden lässt Metzger Papageno. Auch die Kuscheltiere der Jungs werden während der Geschichte einen großen Auftritt haben. Diese Idee ist ebenso stimmig wie sie die Komplexität der „Zauberflöte“ glättet. Strenge zum Preis der Tiefe. Sie verleiht dem Werk diesen strengen Bogen, den es allein eigentlich nicht hat, und macht es mit langen Passagen zu dem, wofür Eltern Mozarts vorletztes Bühnenwerk traditionell nutzen: eine Kinderoper, mit der junge Musiker angezogen werden können. Und doch gelingt es dem 1978 in den USA geborenen und mittlerweile in Europa lebenden Steier im Director’s Cut diesmal besser, dass die philosophischen Fragen des Werks nicht ganz unter den Tisch fallen. Das frauenfeindliche Frauenbild in der Oper wird ebenso thematisiert wie die dem Männerbündnis innewohnende Kriegslust. Und für das etwas heterotypische „Nichts Edleres als Frau und Mann. Mann und Frau, und Frau und Mann, erreichen die Gottheit“ gibt es sogar einen kleinen lesbischen Kuss. Dennoch wird diese „Magic Flume“ von Salzburg nicht hochphilosophisch, transzendental, sie bleibt eine, die Volkstheater betont und vor derben Gags nicht zurückschreckt. Die Zirkuselemente, die 2018 noch die Arbeit überforderten, haben sich gelegt, es gibt Effekte und ein ausgeklügeltes Drehbühnensystem (Bühnenbild wieder von Katharina Schlipf), aber kein Spektakel mehr. Die Protagonistin Joana Mallwitz, Dirigentin der Philharmoniker, ist dem Spektakel keineswegs abgeneigt. Fast schon trotzig spät geht es los – doch die Andeutung einer langen Nacht täuscht. Maestra, Jahrgang 1986, bewegt sich in einem wahnsinnigen Tempo, aber nie als Selbstzweck. Selten agiert das Podium so perfekt abgestimmt und spiegelt das Bühnengeschehen wider, der Deutsche hat die Bühne immer im Blick und stellt die Musik in seinen Dienst. Die Besetzungsfrage ist dagegen nicht einhellig positiv. Regula Mühlemann ist eine schöne Pamina mit schönem Klang, Michael Nagl ein charmanter, cremiger Papageno und dass Tareq Nazmi im Vergleich zu 2018 von der Nebenrolle zum starken Bass-Sarastro aufgestiegen ist, ist auch ein Pluspunkt. Das andere Team wird vom jungen Schweizer Mauro Peter als Tamino angeführt, der leider nicht die Körpergröße für das Spiel hat, wenn er zurückkehrt, was heftig und wackelig ist. Und Brenda Rae hat als Königin der Nacht Glück, dass sie im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin von 2018 keinen Eichhörnchenhelm tragen muss, aber das hilft ihr nicht, das schwindelerregende Spiel anmutig zu meistern. Die Wiener Dreierknaben hingegen interpretieren die deutlich verstärkten Partien der drei Knaben souverän – ohne Zirkusluft zu schnuppern. (LEISTUNG: „Die Zauberflöte“, Neuproduktion bei den Salzburger Festspielen, Haus für Mozart, Wiener Philharmoniker, Musikalische Leitung: Joana Mallwitz, Regie: Lydia Steier, Bühne: Katharina Schlipf, Kostüme: Ursula Kudrna, Licht: Olaf Freese Mit: Tareq Nazmi – Sarastro, Mauro Peter – Tamino, Brenda Rae/Jasmin Delfs – Königin der Nacht, Regula Mühlemann – Pamina, Ilse Eerens – First Lady, Sophie Rennert – Second Lady, Noa Beinart – Third Lady, Michael Nagl – Papageno, Maria Nazarova – Papagena, Peter Tantsits – Monostatos, Henning von Schulman – Sprecher/Erster Priester/Zweiter Ritter, Simon Bode – Zweiter Priester/Erster Ritter, Roland Koch – Großvater, Wiener Sängerknaben – Drei Knaben). Weitere Vorstellungen am 3., 6., 10., 17., 20., 24. und 27. August. salzburgerfestspiele.at)