Stand: 03.08.2022 22:11 Uhr
Al-Qaida-Führer al-Zawahiri wurde von einer Drohne getötet. US-Präsidenten betonen, dass eine Art “sauberer” Krieg möglich sei. Aber oft sterben auch Zivilisten. Ein neuartiger Flugkörper soll dieses Risiko minimieren. Eine Analyse von Armin Ghassim, ARD Studio Washington
Der Tod kommt fast lautlos: Etwa drei Sekunden vor dem Einschlag durchbricht die von Drohnen abgefeuerte Hellfire-Rakete normalerweise die Schallmauer. Das war das erste Mal, dass Al-Qaida-Chef Aiman al-Zawahiri am Sonntagmorgen in Kabul ahnen konnte, dass es ihn nach mehr als 20 Jahren Verstecken endlich treffen würde.
Die Ermordung von al-Zawahiri lenkte die Aufmerksamkeit der Welt wieder auf einen Krieg, den die USA nach dem 11. September 2001 führten. George W. Bush Jr. erklärte den Ausnahmezustand, der es den Vereinigten Staaten erlaubt hätte, Terroristen zu töten, die sie als Bedrohung betrachteten die Vereinigten Staaten. , jederzeit und überall.
Dieser Ausnahmezustand dauert nun fast 21 Jahre – und ein Ende ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Joe Biden hatte es bereits beim Abzug der Truppen aus Afghanistan angekündigt.
Der “saubere” Krieg
Diese Ankündigung hat er letztes Wochenende in die Tat umgesetzt. Der Angriff auf al-Zawahiri war der erste seit dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. „Wir haben die Fähigkeiten am Horizont. Wir können Ziele eliminieren, ohne unsere eigenen Truppen vor Ort zu haben“, sagte Biden im August letzten Jahres.
Die Tötung von al-Zawahiri ist damit ein großer Erfolg für US-Präsident Biden. Sein Vorgänger Barack Obama, der das US-Drohnenprogramm einst massiv ausgebaut hatte, betonte in einer Erklärung auf Twitter, dieser Angriff sei ein Beweis dafür, dass die USA Terroristen ausschalten könnten, ohne die eigenen Soldaten zu gefährden. Und das mit scheinbar fast chirurgischer Präzision.
Mehrheit gegen Truppeneinsatz, aber für Drohnen
Drohnen scheinen mehr denn je das Mittel der Wahl der USA zu sein, um im „Krieg gegen den Terror“ gezielt zuzuschlagen. Die Mehrheit der US-Bevölkerung ist seit Jahren gegen die Präsenz von US-Truppen in Afghanistan oder im Irak. Das Töten per Fernsteuerung unterstützt dagegen die Mehrheit der Amerikaner. Krieg, aber ohne eigenes Risiko, Drohnen sind dafür perfekt geeignet – und zudem deutlich günstiger als bemannte Kampfjets oder gar Bodentruppen.
Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte die Zahl der Anschläge etwa in Somalia massiv erhöht, weil Trump kurzerhand einige Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung aufgehoben hatte. Biden hat diese Vorsichtsmaßnahmen gleich nach seinem Amtsantritt wieder eingeführt. Seitdem haben das US-Militär und die CIA weniger Angriffe im Nahen Osten und in Afrika durchgeführt.
Tödliche Fehler auch unter Biden
Allerdings gab es auch unter Biden fatale Fehler. Im August 2021 etwa, als sich Tausende Menschen auf dem Flughafen von Kabul drängten, um vor den Taliban zu fliehen. Das US-Militär befürchtete einen Angriff auf die eigenen Truppen und die Menge. Sie hatten Informationen, dass ein IS-Angreifer den nächsten Anschlag in einer „weißen Limousine“ verüben wollte. Aufgrund zusätzlicher Verdachtsmomente, etwa voller Kanister im Kofferraum, feuerten sie eine Hellfire-Rakete auf ein solches Auto, das in einem Wohngebiet in der Nähe des Flughafens geparkt war.
Auch hier meldete das US-Militär zunächst, dass ein Terrorist erfolgreich getötet wurde. Wochen später ergab eine Untersuchung afghanischer Journalisten und der New York Times, dass sieben Kinder und drei unschuldige Erwachsene bei dem Angriff getötet wurden. Der mutmaßliche IS-Terrorist war in Wahrheit Esmarai Ahmadi, ein afghanischer Mitarbeiter einer amerikanischen humanitären Organisation.
Zivile Opfer wurden vertuscht
Berichte wie dieser haben in den letzten 20 Jahren wiederholt das Genauigkeitsargument untergraben. Ein Argument, das alle US-Präsidenten für den Einsatz von Drohnen angeführt haben. Und das Pentagon hat offenbar alles getan, um zu verhindern, dass solche Unfälle bekannt werden.
Im Dezember veröffentlichte die “New York Times” nach mehrjähriger Recherche die “Citizen Accident Files”. Dokumente des Pentagon zeigten, dass die USA wissentlich viele zivile Opfer erlitten und dass selbst nach internen Fehlern fast niemand zur Rechenschaft gezogen wurde.
Auch interne Dokumente waren zuvor geleakt worden, die einen fragwürdigen Umgang mit den tatsächlichen Opfern der eigenen Angriffe zeigten: So kam 2014 eine interne militärische Untersuchung zu dem Ergebnis, dass 90 Prozent der bei Drohnenangriffen Getöteten nicht die eigentlichen Ziele, sondern die sogenannten „Zuschauer“ – also Personen, die einfach daneben standen, aber aufgrund ihrer Nähe zum Ziel nicht als Zivilisten galten. Wenn es sich um Jungen über 15 Jahren handelte, wurden sie vom US-Militär oft als feindliche Kombattanten oder “Military Age Males” gezählt.
Einsatz neuer Raketen?
Im Fall al-Zawahiri betonte US-Präsident Biden, er habe einen „Präzisionsschlag“ gegen den Al-Qaida-Führer genehmigt. Experten zufolge könnten neuartige Hellfire-Raketen eingesetzt worden sein.
Fotos in sozialen Medien, die offenbar das Versteck von al-Zawahiri im Kabuler Stadtteil Sherpur nach dem Angriff zeigen, zeigen nur Schäden an einigen Fenstern im Obergeschoss, während der Rest des Gebäudes intakt erscheint. Dies zeigt den Einsatz von Hellfire-Raketen vom Typ R9X: Diese Raketen explodieren beim Aufprall nicht, sondern fahren ihre messerartigen Klingen aus und zerfetzen ihr Ziel. Dadurch sind Menschen in der Umgebung weniger gefährdet.
Nach Angaben der US-Regierung wurde al-Zawahiri getötet, als er auf den Balkon seines…