In Kombination mit einer Immuntherapie könnten Viren die Heilungschancen von Krebspatienten erhöhen. Mehr als 375.000 Österreicherinnen und Österreicher lebten Anfang 2020 mit einer Krebsdiagnose, so die neuesten Daten des Österreichischen Nationalen Krebsregisters der Statistik Austria. Etwa die Hälfte von ihnen lebt seit 10 Jahren mit ihrer Krankheit. Fortschritte in der Standardbehandlung haben nicht nur die Lebenserwartung erhöht, sondern auch die Heilungschancen – auch in fortgeschrittenen Stadien. Insbesondere die Immuntherapie hat sich bei bestimmten bösartigen Tumoren als wirksam erwiesen. Im Allgemeinen nutzt es das körpereigene Immunsystem, indem es bestehende Abwehrmechanismen verstärkt und Krebszellen angreift. Die meisten der heutigen Immuntherapien verlassen sich jedoch weniger auf die Stärkung des Immunsystems als vielmehr auf die Unterdrückung der Hemmung des Immunsystems. Denn Tumore blockieren die Abwehrzellen, die sie bekämpfen wollen. Hier können unter anderem sogenannte Checkpoint-Inhibitoren (CPIs) zum Einsatz kommen. Das sind extrem starke Wirkstoffe, die gezielt auf Hemmungen im Immunsystem abzielen. © Getty Images/iStockphoto/Amornrat Phuchom/iStockphoto.com

Viren infizieren Krebszellen

Die Immuntherapie wirkt jedoch nicht bei allen Patienten gleichermaßen. Ein möglicher Ansatz, um die Heilungschancen möglichst vieler Betroffener zu erhöhen, könnte die Kombination einer Immuntherapie mit sogenannten onkolytischen Viren sein. Diese Viren lösen in Krebszellen eine Infektion aus, gegen die sich Geschwüre meist nicht gut wehren können. „Theoretisch gelten Viren als perfekte Partner für Immuntherapien. Wir verstehen nur noch nicht genau, wie wir die Viren einsetzen und modifizieren sollen, damit sie halten, was sie theoretisch versprechen“, sagt Guido Wollmann, Forscher an der MedUni Innsbruck und Leiter des Christian-Doppler-Labors für Virale Immuntherapie Krebs. Wie sich diese beiden Akteure – Virus und Immuntherapie – am besten kombinieren lassen, um Tumore zu zerstören, ist Teil seiner Forschungsarbeit im CD-Labor.

Viren bei Tieren

Hier kommt ein Virus namens VSV-GP zum Einsatz. Das aktiviert die körpereigene Immunantwort und damit die körpereigenen T-Zellen, die den Tumor bestenfalls zerstören können. „VSV-GP basiert auf einem sehr einfachen Virus, das bei Tieren in freier Wildbahn, insbesondere in Südamerika, leichte Infektionen verursacht. Dieses normale VSV (Vesicular-Stomatitis-Virus) kann bei Schweinen oder Rindern eine Erkältung auslösen – Menschen erkranken kaum daran“, erklärt Wollmann von futurezone. In Tierversuchen konnte die Bildung von Krebszellen beobachtet werden. © Getty Images/iStockphoto/image_jungle/iStockphoto Seit etwa 25 Jahren gilt VSV als vielversprechend für die Infektion von Krebszellen. In einigen Tierversuchen zeigte die normale Variante jedoch Anzeichen von Neurotoxizität, einer Nebenwirkung auf das Nervensystem, wenn sie das Gehirn erreichte. Um dies zu vermeiden, wurde VSV vor mehr als 10 Jahren modifiziert und VSV-GP geschaffen. „Ein VSV-Glykoprotein wurde gegen ein Protein eines anderen Virus ausgetauscht“, sagt der Experte. Das Erbgut dieses sogenannten „chimären Virus“ besteht aus den Bestandteilen zweier Viren.

Anheftung an die Zelloberfläche

GP sitzt auf Virus VSV wie eine Art Schlüssel. Das Virus heftet sich an der richtigen Stelle auf der Tumorzelle an. „Das chimäre VSV-GP-Virus kann von normalen Zellen leicht kontrolliert werden, sodass es sich nicht mehr vermehren und auf normale Gewebe oder Nervenzellen ausbreiten kann“, sagt Wollmann. Generell eignen sich seiner Meinung nach sehr schwache Viren, also solche, die von normalen Zellen direkt erkannt, kontrolliert und bekämpft werden können, für solche Behandlungen besonders gut. „Gerade diese schwachen Viren sind oft in der Lage, Tumore erfolgreich zu infizieren, ohne sich über sie hinaus auszubreiten – zumindest auf den ersten Blick eine einfache therapeutische Lösung“, sagt Wollmann. © APA – Österreichische Presseagentur

Achillesferse des Tumors

Das lässt sich damit erklären, dass die direkte antivirale Antwort, also die biologische Abwehrreaktion jeder unserer Körperzellen gegen Viren, bei Krebszellen oft defekt ist, weil dieselben Mechanismen auch das Tumorwachstum verlangsamen. Tumore können diese als Interferone bezeichneten Mechanismen oft außer Kraft setzen und ihnen so einen Wachstumsvorteil verschaffen, gleichzeitig können sie sich aber nicht mehr gegen Virusinfektionen wehren. „Interferone sind eigentlich die Achillesferse eines Tumors. Was ein Vorteil bei der Entwicklung ist, ist ein Nachteil bei der Virenabwehr“, ergänzt der Experte. Viele Tumorarten zeigen diese Schwachstelle, besonders im fortgeschrittenen Stadium. Infobox umschalten Seit 2015 ist in Nordamerika und Europa ein onkolytisches Virus zur Behandlung des Melanoms zugelassen. Dieses Virus basiert auf dem Herpesvirus, das Lippenherpes verursacht. Es wurde vor 30 Jahren im Labor so verändert, dass es sich in normalen Zellen nicht mehr vermehren kann. Dieses Virus wird auch in Österreich verwendet. Zudem wurde 2021 in Japan ein Herpesvirus zur Behandlung bestimmter Hirntumore zugelassen. Die meisten Viren erlauben laut dem Mediziner auch den Einbau zusätzlicher Wirkstoffe, die das Immunsystem modifizieren, verstärken oder manipulieren. “Diese onkolytischen Viren der nächsten Generation werden als “waffenfähige onkolytische Viren” bezeichnet.” Kommt es zu einer Infektion im Tumor, werden zusätzliche Schlüsselmoleküle produziert, die dem Immunsystem signalisieren, den Tumor anzugreifen. „Im Rahmen unserer Forschung haben wir zahlreiche solcher Zusatzwirkstoffe in unsere Viren eingebaut und getestet, die einen klaren Vorteil gegenüber dem reinen Virus zeigen“, sagt Wollmann. Das Virus, das den Tumor infizieren soll, kann laut Wollmann auch als Impfstoff gegen Krebs eingesetzt werden. „Ich kann ein Merkmal des Tumors, ein sogenanntes Tumorantigen, in das Virus einbauen“, sagt Wollmann. Diese Idee hat den Vorteil, dass bei einer Infektion des Tumors das Immunsystem noch effektiver gegen den Tumor trainiert werden kann. © APA/HANS KLAUS TECHT

Maus-Tumormodelle

Im CD-Labor werden derzeit mehrere Kombinationsstudien mit Immuntherapien und VSV-GP-Virusvarianten in Maus-Tumormodellen durchgeführt, um die Wechselwirkungen zwischen Virus, Tumor und Immunantwort zu untersuchen. Je nach Wirkung der jeweiligen Varianten auf das Immunsystem werden sie dann mit anderen Immuntherapien kombiniert. Auf diese Weise kann eine maximale therapeutische Wirkung erzielt werden. „Ein weiterer Teil unserer Forschung ist die Vorbereitung einer klinischen Studie, die mit Hilfe der pharmazeutischen Industrie durchgeführt wird. Wir entwickeln Labormethoden, um diese Studien mit speziellen Labormethoden zu begleiten, um die Immunantwort des Patienten auf das Virus und den Tumor zu überwachen“, sagt Wollmann. Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit der Christian Doppler Research Society (CDG). Infobox umschalten In den Christian Doppler Laboren wird anwendungsorientierte Grundlagenforschung in einem internationalen Netzwerk betrieben. Im CD-Labor für Virale Immuntherapie von Krebs wird gemeinsam mit den Pharmaunternehmen ViraTherapeutics GmbH und Boehringer Ingelheim International GmbH daran geforscht, wie Immuntherapien in Kombination mit onkolytischen Viren erfolgreich auf möglichst viele Patienten übertragen werden können. CD-Labors werden von der öffentlichen Hand und den beteiligten Unternehmen finanziert.