Berns Postauto parkt vor einer Kirche mitten in Kramatorsk, einer von nur zwei Städten im ukrainischen Donbass, die die Russen noch einnehmen müssen. Ein paar hundert Meter von hier entfernt tötete am 8. April ein Raketenangriff 57 Menschen, die am Bahnhof auf einen Zug warteten. Die Menschen, die noch hier sind, wissen jetzt, dass russische Raketen sie jeden Moment treffen könnten. Die Schweizer Post könnte ihre letzte Hoffnung sein, dem Krieg im Donbass heil zu entkommen.

Seit April fahren Postbusse durch den Donbass

„Ich weiß gar nicht, wie viele Leute ich hierher gejagt habe“, sagt Anatoly (57), am Steuer des gelben Mercedes-Busses. “Viele viele!” er ruft und lächelt. Fünf Monate lang fuhr er von Kramatorsk nach Westen in die Stadt Pokrowsk – jeden Tag. In Pokrowsk steigen die Geflüchteten in den Evakuierungszug um, der hier einmal täglich hält. Zunächst benutzte Anatoly kleinere Busse, um die gefährlichen Straßen von Donbass zu befahren. Im April spendete PostAuto Schweiz dann zwei Busse, die von einer lokalen Hilfsorganisation an der ukrainischen Grenze abgeholt wurden. (Der zweite Bus mit Basler Kennzeichen wird gerade repariert.) Dank finanzieller Unterstützung aus der Schweiz, die das Benzin und den Unterhalt der beiden Postautos bezahlt, kann Anatoly nun pro Fahrt bis zu 50 Personen befördern.

Selensky bittet um sofortige Abreise

Victoria ist auch mit ihren zwei jüngsten Kindern, Arsen und Sofia, im Bus. Sie wollen aus dem Donbass zu ihren Bekannten in die Westukraine fliehen. Aber Inna (24), die älteste Tochter, will nicht mit. “Ich bin im Rahmen eines Freiwilligenprogramms hier, ich will nicht einfach weg”, sagt die junge Frau mit aufgespritzten Lippen. “Nach dem Krieg fahre ich vielleicht in die Ferien in die Schweiz und nehme dann das Postauto dorthin”, sagt er. Menschen wie Inna, so mutig sie auch sein mögen, gehen in den Augen der ukrainischen Regierung unnötige Risiken ein. Präsident Wolodymyr Selenskyj (44) hat am Samstag alle Bürger ausdrücklich dazu aufgerufen, den Donbass sofort zu verlassen. „Je mehr Menschen die Region verlassen, desto weniger Menschen kann die russische Armee töten“, sagte Selenskyj.

Viele Flüchtlinge kehrten zurück

Eugene (41) interessiert diese Worte nicht. Der Sohn des Ortspfarrers steht in seiner gelben Weste neben dem Postbus und hilft einer älteren Frau, ihr Gepäck in den Bus zu tragen. In seiner Kirche stapeln sich Pakete mit Nudeln, Kinderkleidung und alten Matratzen. „Manchmal blieben bis zu 40 Leute in der Kirche und warteten auf den nächsten Postbus“, sagt Eugene. Neben ihm wirft ein alter Mann einen Porzellanbecher auf den Boden und flucht. Er ist dagegen, dass seine Frau ins Postauto einsteigen will. Eugene beruhigt ihn, schiebt die Scherben mit dem Fuß beiseite und lächelt. Evgeny will in Kramatorsk bleiben und vor Ort helfen. Die Not ist groß, das Armenviertel voller Bedürftiger. “Und viele der Flüchtlinge kehren bereits zurück”, sagt Evgeny mit einem Stirnrunzeln. “Sie hatten kein Geld mehr, wenn sie weg waren, sie langweilten sich oder sie bekamen einfach richtig Heimweh.” Dann nickt er Anatoly am Steuer zu. “Alles drin!” er ruft. Anatoly gibt einen Daumen nach oben, schließt die Türen. Der Motor springt an, der Blinker leuchtet und das Postauto fährt langsam davon, aus dem Kriegsgebiet und in vermeintliche Sicherheit. Mehr über den Krieg in der Ukraine